Direk­te Bun­des­rats­wahl — hem­mungs­lo­se Demokratie

1Die Initia­ti­ve, wel­che die direk­te Wahl des Bun­des­ra­tes durch das Volk in der Ver­fas­sung ver­an­kern möch­te, wird die Schwei­zer Stimm­bür­ger in abseh­ba­rer Zukunft beschäf­ti­gen. Seit 1848 war die Wahl des Bun­des­ra­tes Sache der Ver­ei­nig­ten Bun­des­ver­samm­lung, die sich aus den bei­den Kam­mern des Par­la­ments, dem Natio­nal- und Stän­de­rat, zusam­men­setzt. Die höchs­te legis­la­ti­ve Instanz wählt die Mit­glie­der des höchs­ten exe­ku­ti­ven Bun­des­or­gans. Nach über 160 Jah­ren will die von der SVP lan­cier­te Initia­ti­ve die­se Ver­ant­wor­tung dem Stimm­volk über­tra­gen. Die Schwei­zer Stimm­bür­ger wer­den mit der heik­len Auf­ga­be kon­fron­tiert, ent­we­der die eige­nen Rech­te wei­ter aus­zu­bau­en oder die vor­han­de­ne Beschrän­kung zu betonieren.

Die­se Initia­ti­ve ist das poli­ti­sche Nach­be­ben der Abwahl des SVP-Bun­des­ra­tes Chris­toph Blo­cher. Von Abwahl zu spre­chen ist eigent­lich falsch, denn das Par­la­ment bestä­tig­te den Über­va­ter der Schwei­ze­ri­schen Volks­par­tei ein­fach nicht im Amt. Dies hat sich in der Schweiz erst vier­mal zuge­tra­gen. Dem­entspre­chend gross waren die poli­ti­schen Ver­wer­fun­gen, wel­che aus die­ser Nicht­wahl her­vor­gin­gen. Die neu gewähl­te SVP-Bun­des­rä­tin Frau Eve­li­ne Wid­mer-Schlumpf wur­de von der eige­nen Par­tei als Ver­rä­te­rin gebrand­markt und aus­ge­schlos­sen. Eine mode­ra­te Min­der­heit der SVP for­mier­te sich um die neue Bun­des­rä­tin und spal­te­te sich von der Mut­ter­par­tei als BDP ab. So ent­stand die aus demo­kra­ti­schen Gesichts­punk­ten unbe­frie­di­gen­de Situa­ti­on, dass einer­seits die wäh­ler­stärks­te Par­tei der Schweiz im Bun­des­rat mit einem Sitz ein­deu­tig unter­ver­tre­ten ist und and­rer­seits eine schwach legi­ti­mier­te Ver­tre­te­rin einer Min­der­heits­par­tei im Bun­des­rat einsitzt.

Die Empö­rung der SVP war gren­zen­los, hat­te das Par­la­ment doch ihrem Cham­pi­on, der von vie­len SVP-Par­tei­gän­gern eine nahe­zu reli­giö­se Ver­eh­rung erfährt, die rote Kar­te gezeigt und des Spiel­fel­des ver­wie­sen. Die popu­lis­ti­sche Schluss­fol­ge­rung der SVP-Stra­te­gen lag auf der Hand: Der Wil­le des Par­la­ments ent­spricht nicht mehr dem Wil­len des Vol­kes, denn die “clas­se poli­tique” hat sich ver­selb­stän­digt und poli­ti­siert am Volk vor­bei. Also soll die Wahl des Bun­des­ra­tes dem Volk über­tra­gen wer­den. Bei den herr­schen­den Kräf­te­ver­hält­nis­sen in der Schweiz liegt es im Bereich des Mög­li­chen, dass die SVP damit ihre Wunsch­kan­di­da­ten in den Bun­des­rat kata­pul­tie­ren wür­de. Somit wäre auch eine Ära Blo­cher 2.0 nicht mehr auszuschliessen.

Die Fra­ge drängt sich auf, ob das Stimm­volk der schwe­ren Auf­ga­be einer Bund­e­rats-Direkt­wahl gerecht wer­den kann. Kann das Volk in einem emo­tio­na­len Wahl­kampf tat­säch­lich die fach­li­che und mensch­li­che Eig­nung der Kan­di­da­ten erken­nen und wür­di­gen? Die Befürch­tung, dass das Volk womög­lich den lau­tes­ten und radi­kals­ten, nicht aber den kom­pe­ten­tes­ten und kon­sens­fä­higs­ten Kan­di­da­ten wäh­len wür­de, ist nicht unbe­grün­det ange­sichts der emo­tio­na­len poli­ti­schen Stim­mungs­la­ge in der Schweiz. Kon­sens­fä­hig­keit muss eine zen­tra­le Fähig­keit eines Bun­des­rats­kan­di­da­ten oder einer Bun­des­rats­kan­di­da­tin sein, wenn wir an unse­rem Sys­tem der Kon­kor­danz, sprich der gemein­sa­men Regie­rungs­ver­ant­wor­tung aller gros­sen Par­tei­en, fest­hal­ten wol­len. Einen guten Grund dafür gäbe es, denn das Kon­kor­d­anz­sys­tem galt lan­ge als Garant für wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Stabilität.

Das Kol­le­gia­li­täts­prin­zip im Bun­des­rat ist Aus­druck der Kon­kor­danz, da Ent­schei­dun­gen nach Mehr­heits­be­schlüs­sen kol­le­gi­al und ein­heit­lich getra­gen wer­den. Ein Bun­des­rat muss also die Mei­nung des Gesamt­bun­des­ra­tes ver­tre­ten, auch wenn sie sei­ner Mei­nung wider­spricht. Alt-Bun­des­rat Blo­cher bekun­de­te sei­ne lie­be Mühe mit die­sem unge­schrie­be­nen Gesetz, was nicht unent­schei­dend für sei­ne Nicht-Wie­der­wahl war. Obwohl gemäss der Schwei­ze­ri­schen Bun­des­ver­fas­sung jede/r voll­jäh­ri­ge Schwei­zer Bürger/in als Bun­des­rat wähl­bar ist, wählt das Par­la­ment in der Regel Per­so­nen aus der eige­nen Mit­te. Die Kan­di­da­ten sind den Par­la­men­ta­rie­ren bes­tens ver­traut, da sie sich in lang­jäh­ri­ger par­la­men­ta­ri­scher Arbeit pro­fi­liert haben. Die Par­la­men­ta­ri­er haben einen geschärf­ten Blick für die mensch­li­chen und fach­li­chen Qua­li­tä­ten der Kandidaten.

Nicht zuletzt ver­hin­dert die Wahl des Bun­des­ra­tes durch das Par­la­ment, dass Per­so­nen, wel­che par­tei­po­lit­sche Inter­es­sen über das Kon­kor­d­anz­sys­tem und das Kol­le­gia­li­täts­prin­zip stel­len in die­ses Gre­mi­um ein­zie­hen. Eine Volks­wahl wür­de den von den Par­tei­en vor­ge­schla­ge­nen Expo­nen­ten den Vor­zug geben, was zu einer ver­stärk­ten par­tei­po­li­ti­schen Aus­rich­tung der Bun­des­rä­te und einer Schwä­chung oder Auf­he­bung der Kon­kor­danz füh­ren könn­te. Eine Ver­schär­fung des poli­ti­schen Kli­mas in der Schweiz wäre die unmit­tel­ba­re Fol­ge der direk­ten Bun­des­rats­wahl. Die Ver­ei­nig­te Bun­des­ver­samm­lung scheint ganz klar bes­ser als das Stimm­volk geeig­net zu sein, den rich­ti­gen Bun­des­rat zu erken­nen und zu wäh­len. Fer­ner spricht gegen eine Direkt­wahl, dass der Wahl­kampf von finanz­kräf­ti­gen Grup­pie­run­gen, wel­che schweiz­weit teu­re Kam­pa­gnen fah­ren kön­nen, domi­niert wür­de. Par­tei­en mit beschei­de­nen finan­zi­el­len Mit­teln wür­den dadurch einen kla­ren Nach­teil erfahren.

Die Ver­lo­ckung, sich als Stimm­be­rech­tig­ter an der Urne sel­ber neue Rech­te ein­zu­räu­men, ist gross. Wer jedoch unser bewähr­tes poli­ti­sches Sys­tem nicht über den Hau­fen wer­fen will, ist gut bera­ten, die Initia­ti­ve für eine Direkt­wahl des Bun­des­ra­tes abzu­leh­nen. Die direk­te Bun­des­rats­wahl bedeu­tet nicht nur eine Erwei­te­rung der poli­ti­schen Rech­te der Schwei­zer Stimm­be­rech­tig­ten son­dern vor allem ein Wech­sel des poli­ti­schen Sys­tems! War­um aber soll­te man ein funk­tio­nie­ren­des Sys­tem mit einem expe­ri­men­tel­len erset­zen? Die Inti­tia­ve zielt zudem ganz klar auf einen Macht­aus­bau der SVP ab. Sie will nicht nur ihre Wunsch­kan­di­da­ten in den Bun­des­rat brin­gen, son­dern lieb­äu­gelt ins­ge­heim mit einem drit­ten Bun­des­rat­sitz. Wer weder einen Sys­tem­wech­sel noch eine tota­le Domi­nanz der SVP wünscht, ver­zich­tet bes­ser auf die Ent­hem­mung der Demo­kra­tie und sagt Nein zur Volks­wahl des Bundesrates.

Never chan­ge a working system!

[d.z]

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