Face­book — das Tscher­no­byl der Daten

#tldr: In der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts konn­ten die Men­schen die Gefahr, die von radio­ak­ti­ver Strah­lung aus­ging, nicht begrei­fen. Die töd­li­che Gefahr war unsicht­bar. Der Reak­tor­un­fall von Tscher­no­byl1 rief der Welt in das Bewusst­sein, dass auch Unsicht­ba­res lebens­be­droh­lich sein kann. Heu­te ist ein wei­te­rer Super­gau in vol­lem Gang, des­sen Ursa­chen und Wir­kun­gen wir vor­erst weder sehen noch fas­sen kön­nen: Der Daten-Super­gau. Der Face­book-Skan­dal um die Fir­ma «Cam­bridge Ana­ly­ti­ca2» muss zu einem Umden­ken füh­ren und recht­li­che Kon­se­quen­zen haben.

Zwei Mil­li­ar­den Men­schen tum­meln sich auf Face­book. Sie geben höchst­per­sön­li­che Infor­ma­tio­nen an ihre Freun­de und Bekann­te wei­ter und ver­bin­den sich mit ande­ren Face­book-Nut­ze­rin­nen. Die­se Dienst­leis­tung wird ihnen schein­bar kos­ten­los zur Ver­fü­gung gestellt. Ohne sich dar­über im kla­ren zu sein, bezah­len Nut­ze­rin­nen Face­book jedoch mit Ihren per­sön­li­chen Daten. Die­se wer­den von Algo­rith­men bear­bei­tet, mit exter­nen Daten kom­bi­niert und zu einem hoch­prä­zi­sen Per­so­nen­pro­fil gebündelt.

Die­se hoch­sen­si­blen Per­sön­lich­keits­pro­fi­le wer­den nun aber nicht wie ein Schatz gehü­tet, son­dern — auf Neu­deutsch — mone­ta­ri­siert, sprich an alle Inter­es­sen­ten verkauft.

Die­ses Per­so­nen­pro­fil ent­hält Ein­kom­mens­klas­se, sozia­le Stel­lung, beruf­li­cher Wer­de­gang, Vor­lie­ben, Kon­sum-Gewohn­hei­ten, sexu­el­le Ori­en­tie­rung, poli­ti­sche Aus­rich­tung, Ein­stel­lun­gen, Freun­de, Alter, Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, Wohn­si­tua­ti­on, Natio­na­li­tät, Bil­dung, Finan­zen, kör­per­li­che und geis­ti­ge3 Erkran­kun­gen, Dro­gen­ab­hän­gig­keit, Bewe­gungs­pro­fi­le, bio­me­tri­sche Daten, Surf-Histo­ry, Ver­hal­tens­mus­ter und Per­sön­lich­keits­merk­ma­le. Face­book weiss mehr über ihre Nut­ze­rin­nen als sie sel­ber. Die­se hoch­sen­si­blen Per­sön­lich­keits­pro­fi­le wer­den nun aber nicht wie ein Schatz gehü­tet, son­dern — auf Neu­deutsch — mone­ta­ri­siert, sprich an alle Inter­es­sen­ten verkauft.

Das Scha­dens­po­ten­zi­al die­ses Pro­fil­han­dels ist für die Kon­su­men­tin­nen enorm.

Inter­es­sen­ten sind alle, die für die­se Daten bezah­len wol­len und kön­nen, sprich Staa­ten, Behör­den, Ban­ken, Ver­si­che­run­gen, Wer­be­trei­ben­de, Fir­men, Par­tei­en und Poli­ti­ker. Ob die­se Daten zu Guns­ten der Kon­su­men­tin­nen wei­ter­wen­det wer­den, darf bezwei­felt wer­den. Viel­leicht steigt plötz­lich ihre Kran­ken­kas­sen­prä­mie. Viel­leicht wäh­len sie plötz­lich eine Par­tei, die Sie noch vor Mona­ten für unwähl­bar hiel­ten. Viel­leicht erhal­ten sie kei­nen Kre­dit oder kei­ne Zusatz­ver­si­che­rung. Viel­leicht kau­fen sie plötz­lich Din­ge, die ihnen vor kur­zer Zeit nichts bedeu­tet haben. Viel­leicht wird ihnen die Ein­rei­se in ein Land ver­wehrt. Viel­leicht wer­den sie auf­grund ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung dis­kri­mi­niert. Das Scha­dens­po­ten­zi­al die­ses Pro­fil­han­dels ist für die Kon­su­men­tin­nen enorm. Abneh­mer für die­se Daten könn­ten fer­ner auch Krei­se mit kri­mi­nel­len Absich­ten sein.

Wer nun noch glaubt als Face­book-Nut­ze­rin mit einem Pseud­onym nicht schon lan­ge mit Klar­na­men inklu­si­ve oben erwähn­ten «Zusatz-Infor­ma­tio­nen» bekannt zu sein, soll­te schleu­nigst in sich gehen.

Das gewal­ti­ge Aus­mass die­ser Daten­ver­ar­bei­tung und  ‑ver­wer­tung offen­bart sich im Umstand, dass auch Daten über Men­schen, die Face­book nicht nut­zen, gesam­melt wer­den. Es genügt auf Face­book erwähnt zu wer­den, um dort erfasst zu wer­den. «Shadow Pro­fil­ing» wird die­se Erfas­sung von unbe­tei­lig­ten Drit­ten genannt. Face­book will schlicht und ein­fach alle Infor­ma­tio­nen über alle Men­schen an sich reis­sen, ver­ar­bei­ten und ver­gol­den. Wer nun noch glaubt als Face­book-Nut­ze­rin mit einem Pseud­onym nicht schon lan­ge mit Klar­na­men inklu­si­ve oben erwähn­ten «Zusatz-Infor­ma­tio­nen» bekannt zu sein, soll­te schleu­nigst in sich gehen.

Die Daten von Face­book-Nut­ze­rin­nen (und Unbei­lig­ten) befin­den sich in der frei­en Wild­bahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Die Gefahr, die von die­sem Daten­han­del aus­geht, betrifft jedoch nicht nur Ein­zel­per­so­nen, son­dern Staa­ten und Demo­kra­tien. Die Fir­ma «Cam­bridge Ana­ly­ti­ca» soll zwecks Mani­pu­la­ti­on der US-Wah­len Mil­lio­nen von Face­book-Pro­fi­len abge­grif­fen und ver­ar­bei­tet haben, um damit Wäh­le­rinn­nen gezielt zu beein­flus­sen. Hin­ter die­ser Fir­ma ste­hen Per­so­nen aus dem Umfeld des US-Prä­si­den­ten Trump als auch aus Russ­land. Der ame­ri­ka­ni­sche Son­der­er­mitt­ler wird sich dem gewiss anneh­men. Pikan­tes Detail: Die­se Fir­ma erhielt einen _akademischen_ Zugang zur Face­book-Schnitt­stel­le (API4). Es wäre jedoch falsch zu glau­ben, dass sich beim Daten­topf «Face­book» nicht schon ande­re Fir­men bedient hät­ten. Die Daten von Face­book-Nut­ze­rin­nen (und Unbe­tei­lig­ten) befin­den sich in der frei­en Wild­bahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Geschäfts­ge­heim­nis­se sowie Pri­vat­sphä­re sind dort auf­ge­ho­ben, nicht im Sin­ne von «gewahrt», son­dern im Sin­ne von «annu­liert».

Die Bedro­hung für Daten­schutz und Pri­vat­sphä­re geht jedoch nicht nur von Face­book aus. Wei­te­re Daten­kra­ken5 wie Goog­le, wel­ches sei­nen Nut­ze­rin­nen hoch und hei­lig ver­spro­chen hat, nicht Böse zu sein («Don’t be evil6»), ver­fü­gen über ähn­li­ches oder grös­se­res Scha­dens­po­ten­zi­al. Es gibt näm­lich kei­ne Garan­tie dafür, dass die­se Fir­men nicht bank­rott gehen oder von Aktio­nä­ren, wel­che das Geschäfts­mo­dell ändern, über­nom­men wer­den. Viel­mehr gibt es eine gros­se Wahr­schein­lich­keit, dass eben dies frü­her oder spä­ter gesche­hen wird. Zudem haben wir es hier mit ame­ri­ka­ni­schen Kon­zer­nen zu tun, wel­che den US-Behör­den und Geheim­diens­ten unter Geheim­hal­tung alle mög­li­chen Daten her­aus­ge­ben müs­sen. Wer — Pri­va­te oder Fir­men — mit ver­trau­ens­wür­di­gen oder sen­si­blen Daten arbei­tet, soll­te Goog­le, Twit­ter, Face­book, Ama­zon, Micro­soft und Apple unbe­dingt mei­den. Geschäfts­ge­heim­nis­se sowie Pri­vat­sphä­re sind dort auf­ge­ho­ben, nicht im Sin­ne von «auf­be­wahrt», son­dern im Sin­ne von «annu­liert».

Den Kon­su­men­tin­nen bleibt also ein­mal mehr nur, sich sel­ber zu schützen.

Edward Snow­den7 ist der Mei­nung, dass Face­book eine Fir­ma ist, die zur Mas­sen­über­wa­chung geschaf­fen und als «Social Media» getarnt wur­de. Wie der aktu­el­le Skan­dal zeigt, ist auch Mas­sen­ma­ni­pu­la­ti­on anhand der von Face­book gesam­mel­ten Daten in greif­ba­re Nähe gerückt. Demo­kra­ti­sche Poli­ti­ker soll­ten sich die­ser Pro­ble­ma­tik unver­züg­lich anneh­men und stren­ge Regu­lie­run­gen für Fir­men, wel­che mit Per­so­nen­pro­fi­len han­deln, for­dern. Lei­der sind Staa­ten wie die Schweiz mehr mit der sinn­lo­sen Über­wa­chung der eige­nen Bevöl­ke­rung als mit dem drin­gend not­wen­di­gen Schutz der­sel­ben beschäf­tigt. Den Kon­su­men­tin­nen bleibt also ein­mal mehr nur, sich sel­ber zu schüt­zen. Die­ser Schutz kann nur dar­in bestehen, sich — wenn mög­lich — von sol­chen Dienst­leis­tun­gen für immer abzu­mel­den. Wie aber will man sich von Goog­le oder Apple abmel­den, wenn man ein Smart­phone der jewei­li­gen Fir­ma besitzt? Die Abhän­gig­keit von die­sen Kon­zer­nen ist gren­zen­los. Das Inter­net muss des­halb von Grund auf über­dacht und neu kon­zi­piert werden.

Das Tscher­no­byl der Daten hat erst begon­nen. Es ist Zeit auf­zu­wa­chen und die Augen nicht län­ger vor die­ser neu­en unsicht­ba­ren Bedro­hung unse­res Lebens und unse­rer Demo­kra­tie zu verschliessen.

VN:F [1.9.22_1171]
Rating: 0.0/6 (0 votes cast)
image_pdfimage_print

CC BY-NC 4.0 Face­book — das Tscher­no­byl der Daten von Domi­nic Zschok­ke ist lizen­ziert unter Crea­ti­ve Com­mons Namens­nen­nung-Nicht­Kom­mer­zi­ell 4.0 inter­na­tio­nal.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*