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Der Angriff der Polit-Bots

Die Machenschaften der Firma «Cambrigde Analytica» belegen, dass demokratische Entscheidungsprozesse in naher Zukunft einem digitalen Grossangriff auf die Meinungsbildung ausgesetzt sein werden. Auch in der Schweiz sind bereits Firmen am Start, welche die öffentliche Meinung «ganz legal» manipulieren wollen. Die Firma «Enigma» legt in der Handelszeitung ihre Ambitionen offen auf den Tisch. Mit Bots und KI - so die vollmundigen Ankündigungen - soll die Meinung einer «empfänglichen» Schicht zu Gunsten der Kundschaft beeinflusst werden. Ein gekauftes Abstimmungs- oder Wahlresultat kann demnach herbeigeführt werden.

Die Menschen werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Die Klasse der «Empfänglichen» lässt sich unmittelbar auf die Unentschlossenen, die Uninformierten, die Wankelmütigen und die Politik-Abstinenten eingrenzen. Diese Gruppierung ist in der Schweiz prominent vertreten. Wenn es gelingen sollte, diesen Personenkreis mit auf die Persönlichkeit angepassten Botschaften zu überzeugen und für eine Seite zu mobilisieren, können knappe Abstimmungen - oder auch Wahlen - im Sinne der Kunden gewonnen werden. Diese bewegbare Masse lässt sich logischerweise emotional und weltanschaulich zu Meinungen bewegen, die sie sich nicht selber gebildet hat. Sie werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen.

Das ist der simple Business-Plan solcher Meinungsmacher. Das Werkzeug für diese Beeinflussung sind Bots, Maschinen, die sich als Menschen tarnen. Hier beginnt die Täuschung, die Vorspiegelung falscher Tatsachen, und hier beginnt die bedenkliche Manipulation der Demokratie. Sehr wahrscheinlich haben sich schon etliche «falsche Freunde» in den Kreis unserer Follower und Freunde auf Twitter, Facebook und Google+ eingeschlichen. Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen. Maschinen, die darauf trainiert sind, psychologische Muster von Social-Media-Teilnehmerinnen zu erkennen, beginnen auf Kommando, mit massgeschneiderten Botschaften auf deren Meinungbildung einzuwirken. Der Erfolg oder Misserfolg solcher mentalen Implantate lässt sich ahand von Klicks, Likes, Favs oder Retweets messen und korrigieren.

Bot face - Gesicht eines Bots
Is it a man, a machine or the bicycle repair man?

Demokratie lebt von lebendigen Debatten, dem Austausch von Argumenten zwischen Menschen. Jetzt aber beginnen Maschinen, Meinungen zu generieren und demokratische Prozesse zu unterwandern. Das ist eine gefährliche Tendenz, welcher so früh wie möglich Einhalt geboten werden muss. Vier mögliche Ansätze scheinen geeignet, der maschinellen Beeinflussung der Demokratie entgegenzuwirken.

  • Erstens: Der Gesetzgeber reguliert den Einsatz von politischen Bots. Politische Aussagen von Bots müssen als politische Werbung gekennzeichnet werden. Den Einsatz von politischen Bots ganz zu verbieten, ist die sauberste Lösung.
  • Zweitens: Die Anbieter von Social-Media-Plattformen untersagen den Einsatz von Bots. Maschinen lassen sich heute noch sehr effizient von Menschen unterscheiden.
  • Drittens: Eine Armee von Gegen-Bots führt politische Bots in die Irre. Das ist der Hacker-Ansatz à la «Seek & Destroy». Der Unterhaltungswert eines solchen Bot-Krieges wäre nicht zu unterschätzen.
  • Viertens: Die Menschen müssen Bot-Profile erkennen lernen. Diese zeichnen sich durch ein niedriges Aktivitäts-Niveau, wenig Follower und ein unpersönliches Profil ohne menschliches Profilbild aus. Thematisch treten sie eintönig, aber in der Sache entschlossen und fundiert in Erscheinung. Die Aussagen weichen nicht von menschlichen Äusserungen ab, da sie von Menschen verfasst wurden. Sollte sich der Verdacht erhärten, auf einen Bot gestossen zu sein, ist es ratsam, diesen in ein Gespräch zu verwickeln. Die Antwort wird ausbleiben oder unsinnig sein.

Auch wenn die Wirksamkeit dieser maschinellen Massenmanipulation noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, hat sie doch das Potenzial, demokratische Entscheidungen massgeblich zu verfälschen. Der Gesetzgeber sollte sich dieser Problematik so schnell wie möglich annehmen, bevor der Schaden angerichtet ist. Parteien und Gruppierungen, die sich solcher undemokratischer Methoden bedienen, sollten ferner abgestraft und an den Pranger gestellt werden. Firmen, die solche Manipulations-Methoden anbieten, müssen dahingehend reguliert werden, dass sich das Geschäftsmodell kaum mehr lohnt.

Wir stehen am Anfang einer bedenklichen Entwicklung, die jetzt noch kontrolliert werden kann. Die Bots und KIs werden sehr schnell sehr viel intelligenter. Deshalb sollten wir handeln, solange es noch nicht zu spät ist.

 

 




Face­book — das Tscher­no­byl der Daten

#tldr: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten die Menschen die Gefahr, die von radioaktiver Strahlung ausging, nicht begreifen. Die tödliche Gefahr war unsichtbar. Der Reaktorunfall von Tschernobyl rief der Welt in das Bewusstsein, dass auch Unsichtbares lebensbedrohlich sein kann. Heute ist ein weiterer Supergau in vollem Gang, dessen Ursachen und Wirkungen wir vorerst weder sehen noch fassen können: Der Daten-Supergau. Der Facebook-Skandal um die Firma «Cambridge Analytica» muss zu einem Umdenken führen und rechtliche Konsequenzen haben.

Zwei Milliarden Menschen tummeln sich auf Facebook. Sie geben höchstpersönliche Informationen an ihre Freunde und Bekannte weiter und verbinden sich mit anderen Facebook-Nutzerinnen. Diese Dienstleistung wird ihnen scheinbar kostenlos zur Verfügung gestellt. Ohne sich darüber im klaren zu sein, bezahlen Nutzerinnen Facebook jedoch mit Ihren persönlichen Daten. Diese werden von Algorithmen bearbeitet, mit externen Daten kombiniert und zu einem hochpräzisen Personenprofil gebündelt.

Diese hochsensiblen Persönlichkeitsprofile werden nun aber nicht wie ein Schatz gehütet, sondern - auf Neudeutsch - monetarisiert, sprich an alle Interessenten verkauft.

Dieses Personenprofil enthält Einkommensklasse, soziale Stellung, beruflicher Werdegang, Vorlieben, Konsum-Gewohnheiten, sexuelle Orientierung, politische Ausrichtung, Einstellungen, Freunde, Alter, Familienangehörige, Wohnsituation, Nationalität, Bildung, Finanzen, körperliche und geistige Erkrankungen, Drogenabhängigkeit, Bewegungsprofile, biometrische Daten, Surf-History, Verhaltensmuster und Persönlichkeitsmerkmale. Facebook weiss mehr über ihre Nutzerinnen als sie selber. Diese hochsensiblen Persönlichkeitsprofile werden nun aber nicht wie ein Schatz gehütet, sondern - auf Neudeutsch - monetarisiert, sprich an alle Interessenten verkauft.

Das Schadenspotenzial dieses Profilhandels ist für die Konsumentinnen enorm.

Interessenten sind alle, die für diese Daten bezahlen wollen und können, sprich Staaten, Behörden, Banken, Versicherungen, Werbetreibende, Firmen, Parteien und Politiker. Ob diese Daten zu Gunsten der Konsumentinnen weiterwendet werden, darf bezweifelt werden. Vielleicht steigt plötzlich ihre Krankenkassenprämie. Vielleicht wählen sie plötzlich eine Partei, die Sie noch vor Monaten für unwählbar hielten. Vielleicht erhalten sie keinen Kredit oder keine Zusatzversicherung. Vielleicht kaufen sie plötzlich Dinge, die ihnen vor kurzer Zeit nichts bedeutet haben. Vielleicht wird ihnen die Einreise in ein Land verwehrt. Vielleicht werden sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Das Schadenspotenzial dieses Profilhandels ist für die Konsumentinnen enorm. Abnehmer für diese Daten könnten ferner auch Kreise mit kriminellen Absichten sein.

Wer nun noch glaubt als Facebook-Nutzerin mit einem Pseudonym nicht schon lange mit Klarnamen inklusive oben erwähnten «Zusatz-Informationen» bekannt zu sein, sollte schleunigst in sich gehen.

Das gewaltige Ausmass dieser Datenverarbeitung und  -verwertung offenbart sich im Umstand, dass auch Daten über Menschen, die Facebook nicht nutzen, gesammelt werden. Es genügt auf Facebook erwähnt zu werden, um dort erfasst zu werden. «Shadow Profiling» wird diese Erfassung von unbeteiligten Dritten genannt. Facebook will schlicht und einfach alle Informationen über alle Menschen an sich reissen, verarbeiten und vergolden. Wer nun noch glaubt als Facebook-Nutzerin mit einem Pseudonym nicht schon lange mit Klarnamen inklusive oben erwähnten «Zusatz-Informationen» bekannt zu sein, sollte schleunigst in sich gehen.

Die Daten von Facebook-Nutzerinnen (und Unbeiligten) befinden sich in der freien Wildbahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Die Gefahr, die von diesem Datenhandel ausgeht, betrifft jedoch nicht nur Einzelpersonen, sondern Staaten und Demokratien. Die Firma «Cambridge Analytica» soll zwecks Manipulation der US-Wahlen Millionen von Facebook-Profilen abgegriffen und verarbeitet haben, um damit Wählerinnnen gezielt zu beeinflussen. Hinter dieser Firma stehen Personen aus dem Umfeld des US-Präsidenten Trump als auch aus Russland. Der amerikanische Sonderermittler wird sich dem gewiss annehmen. Pikantes Detail: Diese Firma erhielt einen _akademischen_ Zugang zur Facebook-Schnittstelle (API). Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass sich beim Datentopf «Facebook» nicht schon andere Firmen bedient hätten. Die Daten von Facebook-Nutzerinnen (und Unbeteiligten) befinden sich in der freien Wildbahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Geschäftsgeheimnisse sowie Privatsphäre sind dort aufgehoben, nicht im Sinne von «gewahrt», sondern im Sinne von «annuliert».

Die Bedrohung für Datenschutz und Privatsphäre geht jedoch nicht nur von Facebook aus. Weitere Datenkraken wie Google, welches seinen Nutzerinnen hoch und heilig versprochen hat, nicht Böse zu sein («Don't be evil»), verfügen über ähnliches oder grösseres Schadenspotenzial. Es gibt nämlich keine Garantie dafür, dass diese Firmen nicht bankrott gehen oder von Aktionären, welche das Geschäftsmodell ändern, übernommen werden. Vielmehr gibt es eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass eben dies früher oder später geschehen wird. Zudem haben wir es hier mit amerikanischen Konzernen zu tun, welche den US-Behörden und Geheimdiensten unter Geheimhaltung alle möglichen Daten herausgeben müssen. Wer - Private oder Firmen - mit vertrauenswürdigen oder sensiblen Daten arbeitet, sollte Google, Twitter, Facebook, Amazon, Microsoft und Apple unbedingt meiden. Geschäftsgeheimnisse sowie Privatsphäre sind dort aufgehoben, nicht im Sinne von «aufbewahrt», sondern im Sinne von «annuliert».

Den Konsumentinnen bleibt also einmal mehr nur, sich selber zu schützen.

Edward Snowden ist der Meinung, dass Facebook eine Firma ist, die zur Massenüberwachung geschaffen und als «Social Media» getarnt wurde. Wie der aktuelle Skandal zeigt, ist auch Massenmanipulation anhand der von Facebook gesammelten Daten in greifbare Nähe gerückt. Demokratische Politiker sollten sich dieser Problematik unverzüglich annehmen und strenge Regulierungen für Firmen, welche mit Personenprofilen handeln, fordern. Leider sind Staaten wie die Schweiz mehr mit der sinnlosen Überwachung der eigenen Bevölkerung als mit dem dringend notwendigen Schutz derselben beschäftigt. Den Konsumentinnen bleibt also einmal mehr nur, sich selber zu schützen. Dieser Schutz kann nur darin bestehen, sich - wenn möglich - von solchen Dienstleistungen für immer abzumelden. Wie aber will man sich von Google oder Apple abmelden, wenn man ein Smartphone der jeweiligen Firma besitzt? Die Abhängigkeit von diesen Konzernen ist grenzenlos. Das Internet muss deshalb von Grund auf überdacht und neu konzipiert werden.

Das Tschernobyl der Daten hat erst begonnen. Es ist Zeit aufzuwachen und die Augen nicht länger vor dieser neuen unsichtbaren Bedrohung unseres Lebens und unserer Demokratie zu verschliessen.