1

Der Angriff der Polit-Bots

Die Machenschaften der Firma «Cambrigde Analytica» belegen, dass demokratische Entscheidungsprozesse in naher Zukunft einem digitalen Grossangriff auf die Meinungsbildung ausgesetzt sein werden. Auch in der Schweiz sind bereits Firmen am Start, welche die öffentliche Meinung «ganz legal» manipulieren wollen. Die Firma «Enigma» legt in der Handelszeitung ihre Ambitionen offen auf den Tisch. Mit Bots und KI - so die vollmundigen Ankündigungen - soll die Meinung einer «empfänglichen» Schicht zu Gunsten der Kundschaft beeinflusst werden. Ein gekauftes Abstimmungs- oder Wahlresultat kann demnach herbeigeführt werden.

Die Menschen werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Die Klasse der «Empfänglichen» lässt sich unmittelbar auf die Unentschlossenen, die Uninformierten, die Wankelmütigen und die Politik-Abstinenten eingrenzen. Diese Gruppierung ist in der Schweiz prominent vertreten. Wenn es gelingen sollte, diesen Personenkreis mit auf die Persönlichkeit angepassten Botschaften zu überzeugen und für eine Seite zu mobilisieren, können knappe Abstimmungen - oder auch Wahlen - im Sinne der Kunden gewonnen werden. Diese bewegbare Masse lässt sich logischerweise emotional und weltanschaulich zu Meinungen bewegen, die sie sich nicht selber gebildet hat. Sie werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen.

Das ist der simple Business-Plan solcher Meinungsmacher. Das Werkzeug für diese Beeinflussung sind Bots, Maschinen, die sich als Menschen tarnen. Hier beginnt die Täuschung, die Vorspiegelung falscher Tatsachen, und hier beginnt die bedenkliche Manipulation der Demokratie. Sehr wahrscheinlich haben sich schon etliche «falsche Freunde» in den Kreis unserer Follower und Freunde auf Twitter, Facebook und Google+ eingeschlichen. Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen. Maschinen, die darauf trainiert sind, psychologische Muster von Social-Media-Teilnehmerinnen zu erkennen, beginnen auf Kommando, mit massgeschneiderten Botschaften auf deren Meinungbildung einzuwirken. Der Erfolg oder Misserfolg solcher mentalen Implantate lässt sich ahand von Klicks, Likes, Favs oder Retweets messen und korrigieren.

Bot face - Gesicht eines Bots
Is it a man, a machine or the bicycle repair man?

Demokratie lebt von lebendigen Debatten, dem Austausch von Argumenten zwischen Menschen. Jetzt aber beginnen Maschinen, Meinungen zu generieren und demokratische Prozesse zu unterwandern. Das ist eine gefährliche Tendenz, welcher so früh wie möglich Einhalt geboten werden muss. Vier mögliche Ansätze scheinen geeignet, der maschinellen Beeinflussung der Demokratie entgegenzuwirken.

  • Erstens: Der Gesetzgeber reguliert den Einsatz von politischen Bots. Politische Aussagen von Bots müssen als politische Werbung gekennzeichnet werden. Den Einsatz von politischen Bots ganz zu verbieten, ist die sauberste Lösung.
  • Zweitens: Die Anbieter von Social-Media-Plattformen untersagen den Einsatz von Bots. Maschinen lassen sich heute noch sehr effizient von Menschen unterscheiden.
  • Drittens: Eine Armee von Gegen-Bots führt politische Bots in die Irre. Das ist der Hacker-Ansatz à la «Seek & Destroy». Der Unterhaltungswert eines solchen Bot-Krieges wäre nicht zu unterschätzen.
  • Viertens: Die Menschen müssen Bot-Profile erkennen lernen. Diese zeichnen sich durch ein niedriges Aktivitäts-Niveau, wenig Follower und ein unpersönliches Profil ohne menschliches Profilbild aus. Thematisch treten sie eintönig, aber in der Sache entschlossen und fundiert in Erscheinung. Die Aussagen weichen nicht von menschlichen Äusserungen ab, da sie von Menschen verfasst wurden. Sollte sich der Verdacht erhärten, auf einen Bot gestossen zu sein, ist es ratsam, diesen in ein Gespräch zu verwickeln. Die Antwort wird ausbleiben oder unsinnig sein.

Auch wenn die Wirksamkeit dieser maschinellen Massenmanipulation noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, hat sie doch das Potenzial, demokratische Entscheidungen massgeblich zu verfälschen. Der Gesetzgeber sollte sich dieser Problematik so schnell wie möglich annehmen, bevor der Schaden angerichtet ist. Parteien und Gruppierungen, die sich solcher undemokratischer Methoden bedienen, sollten ferner abgestraft und an den Pranger gestellt werden. Firmen, die solche Manipulations-Methoden anbieten, müssen dahingehend reguliert werden, dass sich das Geschäftsmodell kaum mehr lohnt.

Wir stehen am Anfang einer bedenklichen Entwicklung, die jetzt noch kontrolliert werden kann. Die Bots und KIs werden sehr schnell sehr viel intelligenter. Deshalb sollten wir handeln, solange es noch nicht zu spät ist.

 

 




Face­book — das Tscher­no­byl der Daten

#tldr: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten die Menschen die Gefahr, die von radioaktiver Strahlung ausging, nicht begreifen. Die tödliche Gefahr war unsichtbar. Der Reaktorunfall von Tschernobyl rief der Welt in das Bewusstsein, dass auch Unsichtbares lebensbedrohlich sein kann. Heute ist ein weiterer Supergau in vollem Gang, dessen Ursachen und Wirkungen wir vorerst weder sehen noch fassen können: Der Daten-Supergau. Der Facebook-Skandal um die Firma «Cambridge Analytica» muss zu einem Umdenken führen und rechtliche Konsequenzen haben.

Zwei Milliarden Menschen tummeln sich auf Facebook. Sie geben höchstpersönliche Informationen an ihre Freunde und Bekannte weiter und verbinden sich mit anderen Facebook-Nutzerinnen. Diese Dienstleistung wird ihnen scheinbar kostenlos zur Verfügung gestellt. Ohne sich darüber im klaren zu sein, bezahlen Nutzerinnen Facebook jedoch mit Ihren persönlichen Daten. Diese werden von Algorithmen bearbeitet, mit externen Daten kombiniert und zu einem hochpräzisen Personenprofil gebündelt.

Diese hochsensiblen Persönlichkeitsprofile werden nun aber nicht wie ein Schatz gehütet, sondern - auf Neudeutsch - monetarisiert, sprich an alle Interessenten verkauft.

Dieses Personenprofil enthält Einkommensklasse, soziale Stellung, beruflicher Werdegang, Vorlieben, Konsum-Gewohnheiten, sexuelle Orientierung, politische Ausrichtung, Einstellungen, Freunde, Alter, Familienangehörige, Wohnsituation, Nationalität, Bildung, Finanzen, körperliche und geistige Erkrankungen, Drogenabhängigkeit, Bewegungsprofile, biometrische Daten, Surf-History, Verhaltensmuster und Persönlichkeitsmerkmale. Facebook weiss mehr über ihre Nutzerinnen als sie selber. Diese hochsensiblen Persönlichkeitsprofile werden nun aber nicht wie ein Schatz gehütet, sondern - auf Neudeutsch - monetarisiert, sprich an alle Interessenten verkauft.

Das Schadenspotenzial dieses Profilhandels ist für die Konsumentinnen enorm.

Interessenten sind alle, die für diese Daten bezahlen wollen und können, sprich Staaten, Behörden, Banken, Versicherungen, Werbetreibende, Firmen, Parteien und Politiker. Ob diese Daten zu Gunsten der Konsumentinnen weiterwendet werden, darf bezweifelt werden. Vielleicht steigt plötzlich ihre Krankenkassenprämie. Vielleicht wählen sie plötzlich eine Partei, die Sie noch vor Monaten für unwählbar hielten. Vielleicht erhalten sie keinen Kredit oder keine Zusatzversicherung. Vielleicht kaufen sie plötzlich Dinge, die ihnen vor kurzer Zeit nichts bedeutet haben. Vielleicht wird ihnen die Einreise in ein Land verwehrt. Vielleicht werden sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Das Schadenspotenzial dieses Profilhandels ist für die Konsumentinnen enorm. Abnehmer für diese Daten könnten ferner auch Kreise mit kriminellen Absichten sein.

Wer nun noch glaubt als Facebook-Nutzerin mit einem Pseudonym nicht schon lange mit Klarnamen inklusive oben erwähnten «Zusatz-Informationen» bekannt zu sein, sollte schleunigst in sich gehen.

Das gewaltige Ausmass dieser Datenverarbeitung und  -verwertung offenbart sich im Umstand, dass auch Daten über Menschen, die Facebook nicht nutzen, gesammelt werden. Es genügt auf Facebook erwähnt zu werden, um dort erfasst zu werden. «Shadow Profiling» wird diese Erfassung von unbeteiligten Dritten genannt. Facebook will schlicht und einfach alle Informationen über alle Menschen an sich reissen, verarbeiten und vergolden. Wer nun noch glaubt als Facebook-Nutzerin mit einem Pseudonym nicht schon lange mit Klarnamen inklusive oben erwähnten «Zusatz-Informationen» bekannt zu sein, sollte schleunigst in sich gehen.

Die Daten von Facebook-Nutzerinnen (und Unbeiligten) befinden sich in der freien Wildbahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Die Gefahr, die von diesem Datenhandel ausgeht, betrifft jedoch nicht nur Einzelpersonen, sondern Staaten und Demokratien. Die Firma «Cambridge Analytica» soll zwecks Manipulation der US-Wahlen Millionen von Facebook-Profilen abgegriffen und verarbeitet haben, um damit Wählerinnnen gezielt zu beeinflussen. Hinter dieser Firma stehen Personen aus dem Umfeld des US-Präsidenten Trump als auch aus Russland. Der amerikanische Sonderermittler wird sich dem gewiss annehmen. Pikantes Detail: Diese Firma erhielt einen _akademischen_ Zugang zur Facebook-Schnittstelle (API). Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass sich beim Datentopf «Facebook» nicht schon andere Firmen bedient hätten. Die Daten von Facebook-Nutzerinnen (und Unbeteiligten) befinden sich in der freien Wildbahn und sind zum Abschuss freigegeben.

Geschäftsgeheimnisse sowie Privatsphäre sind dort aufgehoben, nicht im Sinne von «gewahrt», sondern im Sinne von «annuliert».

Die Bedrohung für Datenschutz und Privatsphäre geht jedoch nicht nur von Facebook aus. Weitere Datenkraken wie Google, welches seinen Nutzerinnen hoch und heilig versprochen hat, nicht Böse zu sein («Don't be evil»), verfügen über ähnliches oder grösseres Schadenspotenzial. Es gibt nämlich keine Garantie dafür, dass diese Firmen nicht bankrott gehen oder von Aktionären, welche das Geschäftsmodell ändern, übernommen werden. Vielmehr gibt es eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass eben dies früher oder später geschehen wird. Zudem haben wir es hier mit amerikanischen Konzernen zu tun, welche den US-Behörden und Geheimdiensten unter Geheimhaltung alle möglichen Daten herausgeben müssen. Wer - Private oder Firmen - mit vertrauenswürdigen oder sensiblen Daten arbeitet, sollte Google, Twitter, Facebook, Amazon, Microsoft und Apple unbedingt meiden. Geschäftsgeheimnisse sowie Privatsphäre sind dort aufgehoben, nicht im Sinne von «aufbewahrt», sondern im Sinne von «annuliert».

Den Konsumentinnen bleibt also einmal mehr nur, sich selber zu schützen.

Edward Snowden ist der Meinung, dass Facebook eine Firma ist, die zur Massenüberwachung geschaffen und als «Social Media» getarnt wurde. Wie der aktuelle Skandal zeigt, ist auch Massenmanipulation anhand der von Facebook gesammelten Daten in greifbare Nähe gerückt. Demokratische Politiker sollten sich dieser Problematik unverzüglich annehmen und strenge Regulierungen für Firmen, welche mit Personenprofilen handeln, fordern. Leider sind Staaten wie die Schweiz mehr mit der sinnlosen Überwachung der eigenen Bevölkerung als mit dem dringend notwendigen Schutz derselben beschäftigt. Den Konsumentinnen bleibt also einmal mehr nur, sich selber zu schützen. Dieser Schutz kann nur darin bestehen, sich - wenn möglich - von solchen Dienstleistungen für immer abzumelden. Wie aber will man sich von Google oder Apple abmelden, wenn man ein Smartphone der jeweiligen Firma besitzt? Die Abhängigkeit von diesen Konzernen ist grenzenlos. Das Internet muss deshalb von Grund auf überdacht und neu konzipiert werden.

Das Tschernobyl der Daten hat erst begonnen. Es ist Zeit aufzuwachen und die Augen nicht länger vor dieser neuen unsichtbaren Bedrohung unseres Lebens und unserer Demokratie zu verschliessen.




Netz­sper­ren — Weh­ret den Anfängen!

#tldr: Netzsperren kennt man in der Regel von totalitären Staaten, welche den Zugang zu regime-kritischen Inhalten blockieren wollen. China hat dazu eigens die «Grosse Firewall» aufgebaut, um die Bevölkerung von misliebigen Meinungen fernzuhalten. In solchen Ländern dienen Netzsperren dazu, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Die Schweiz jedoch führt jetzt mit der Revision des Geldspielgesetzes Netzsperren ein, um der Lobby der Casinos zu mehr Umsatz zu verhelfen.

Jetzt könnten wir natürlich über diesen hilflosen Versuch, das Neuland zu reglementieren, lachen, wäre da nicht die traurige Gewissheit, dass dies erst der Anfang einer wachsenden Zensur-Maschinerie darstellt.

Die Schweiz wird nun konkurrenzierende ausländische Online-Casinos auf eine schwarze Liste setzen und den Aufruf dieser Webseiten aus der Schweiz verunmöglichen. Verunmöglichen? Nein, diese Sperren lassen sich natürlich _spielend_ umgehen, indem man ein VPN, einen Proxy, den Tor-Browser oder den eigens zur Umgehung von Netzsperren gemachten Browser «Lantern» verwendet. Jetzt könnten wir natürlich über diesen hilflosen Versuch, das Neuland zu reglementieren, lachen, wäre da nicht die traurige Gewissheit, dass dies erst der Anfang einer wachsenden Zensur-Maschinerie darstellt.

Welches sind die nächsten Lobbyisten, welche die Sperrung von ausländischen Konkurrenz-Angeboten verlangen? Welchen Lobbies folgen unsere unbestechlichen Parlamentarier das nächste Mal? Die Begehrlichkeiten sind geweckt: Weitere Interessengruppen befinden sich sicherlich bereits in der Wandelhalle des Bundeshauses. Die Cryptocurrency-Regulierer werden bald aus den Löchern kriechen und die Sperrung von nicht kontrollierbaren digitalen Währungen und den dazugehörigen Webseiten verlangen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

Regulierungswut ist in der Schweiz ein Naturgesetz. Wir regulieren (noch) nicht, um Meinungen zu unterdrücken, sondern um gewissen Kreisen zu mehr Geld zu verhelfen. Die nächsten Sperr-Forderungen sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Zensur-Maschinerie wird aufgebläht. Das löst Kosten aus. Diese werden auf die Kunden abgewälzt: finanzielle Selbstkasteiung unter dem Deckmantel der Demokratie, ähnlich dem BÜPF. Nur handelt es sich bei diesen Bemühungen um Symbol-Politik und Regulierungs-Folklore, da diese Sperren mit wenigen Klicks umgegangen werden können.

Der nächste Schritt auf dem Pfad der Regulierung und Zensur wird womöglich die Forderung nach Software-Verboten sein? Hierzulande lassen Politiker keine Peinlichkeit und keine Dummheit aus. Am Ende sind wir selber schuld, dass wir Politiker wählen, welche Demokratie mit Rechtstaat verwechseln und dem Geld mehr huldigen als der Freiheit. Wenn wir selber plötzlich hinter einer «Grossen Firewall» eingesperrt sind, muss sich niemand mehr beklagen. Meinungen werden dann auch nicht mehr gefragt sein. Noch können wir dieser Tendenz in Richtung «Volksrepublik Schweiz» an der Urne Einhalt gebieten, indem wir Vertreter der Freiheit und Demokratie anstelle von Lobbyisten und Aufsichtsräten wählen.

Und natürlich ein NEIN zum Geldspielgesetz am 10. Juni 2018 einlegen!




E‑Voting — Das Ende der Demokratie?

#tldr: E-Voting birgt neben Chancen auch etliche technologische Risiken, welche die Glaubwürdigkeit von demokratischen Entscheidungen in Frage stellen könnten. Zumindest das Experiment sollte gewagt werden, weil E-Voting den Zugang zur Demokratie gerade für junge Stimmbürgerinnen erleichtert.

Gegner und Befürworter von E-Voting machen in der Schweiz gerade mobil, da die Einführung der elektronischen Stimmabgabe auf das Jahr 2019 vorgesehen ist. Während etliche europäische Länder die Lancierung von E-Voting aus Sicherheitsbedenken auf Eis gelegt haben, glaubt die Schweiz, dieser technologischen Herausforderung gewachsen zu sein. Die Technologien sind vorhanden. Nahezu alle Stimmbürger verfügen über elektronische Kommunkations-Geräte oder einem Zugang zu solchen und können diese - vielleicht auch nur unter Anleitung - bedienen. Gerade die ältere Generation ist im Bezug auf die Bedienung elektronischer Geräte nicht ganz sattelfest. Die Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe müsste für eine Übergangsphase bestehen bleiben. Zudem wäre eine pflegliche Begleitung der älteren Generation in die digitale Demokratie angezeigt.

Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

E-Voting verspricht auf den ersten Blick eine Vereinfachung und Beschleunigung der demokratischen Entscheidungsfindung. Die Administration von Wahlen und Abstimmungen, die Stimmabgabe und Stimmauszählung würde zweifellos schneller, komfortabler und kostensparender über die Bühne gehen. Ein vereinfachter Zugang zu Wahlen und Abstimmungen kann mehr Wählerinnen und Stimmbürgerinnen mobilisieren: ein Gewinn für die Demokratie. Würde dieser Effekt aber ausbleiben, wäre die viel beschworenen Politik-Verdrossenheit wohl Tatsache. Ferner ist zu hoffen, dass die Beschleunigung von demokratischen Prozessen durch E-Voting nicht zu einer Flut von Vorlagen führt, welche die Stimmbürgerinnen überrollt, überfordert und abstumpft. Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht.

Was spricht also gegen die Einführung von E-Voting? Gegner des E-Votings geben zu bedenken, dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse dadurch leichter manipulierbar seien. Wenn Wahlen und Abstimmungen manipuliert werden können und somit nicht mehr den Willen des Stimmvolkes abbilden, ist die Demokratie tatsächlich am Ende angelangt. Fraglich bleibt, warum wir bislang die Gewissheit hatten, dass die Demokratie mit dem System der brieflichen Stimmabgabe nicht manipuliert wurde. Diese Gewissheit beruht auf dem Vertrauen in das System. Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht. Bei elektronischen Verfahren wiederum ist die genaue Funktionsweise vielleicht nicht einmal mehr für Experten nachvollziehbar. E-Voting setzt also voraus, dass wir jenen Experten, die das System entwickelt und überprüft haben, blind vertrauen müssen. Komplexe Software ist jedoch nie frei von Fehlern. Das Vertrauen in E-Voting-Software wackelt hier zum ersten Mal.

Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind.

Ein möglicher Angriffsvektor ist die Manipulation der Software auf den Servern oder auf den Abstimmungsgeräten (Computern, Tablets, Smartphones) der Stimmbürgerinnen. Die Gefahr eines erfolgreichen Angriffs auf die IT-Infrastruktur eines Landes ist reel, wie der aktuelle «Hack» des deutschen Bundestages unterstreicht. Auch der schweizerische Rüstungskonzern Ruag wurde schon digital unterwandert. Sollte es Angreifern gelingen, in sensibelste Bereiche der E-Voting-Infrastruktur vorzudringen, ist es um die Demokratie geschehen. Die Erfahrung zeigt, dass solche gezielten Angriffe stattfinden und vielfach den beabsichtigten Schaden herbeiführen. Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind. Auch die Motivation für solche Angriffe ist gegeben, zumal es bei Abstimmungen wie bspw. über die Beschaffung von Kampfflugzeugen um Milliarden von Franken geht. Anderseits fliessen aber die Erkenntnisse über mögliche Angriffsvektoren in die Entwicklung der E-Voting-Software ein. Die Entwickler werden versuchen, die Software und die Hardware gegen alle denkbaren Angriffe zu härten.

Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten?

Auch wenn wir der Software vertrauen könnten, darf die Sicherheit der Hardware, der Elektronik, nicht aus den Augen verloren werden. Leider ist das Vertrauen in die Hardware erschüttert, seit bekannt wurde, dass jahrelang gravierende Sicherheitslücken in fast allen modernen Prozessoren klafften. «Meltdown» und «Spectre» wurden diese beiden Angriffsvektoren getauft. Diese Sicherheitslücken erlaubten oder erlauben noch immer das unberechtigte Auslesen von hochsensiblen Daten wie Passwörtern auf allen Betriebssystemen. Die einzig wirkliche Abhilfe für dieses Problem ist eine neue Prozessorgeneration, welche auf einer anderen Architektur beruht. Es wird wahrscheinlich noch ein Jahrzehnt vergehen, bis die letzten der anfälligen Prozessoren nicht mehr zum Einsatz kommen. Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten? Diese Garantie ist angesichts der zunehmenden Komplexität von Technologie nicht vorhanden.

Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden.

Auch die Endgeräte der Stimmbürgerinnen sind leider alles andere als sicher. Etliche Computer und Smartphones sind infiziert mit Trojanern und Viren. Deren Nutzerinnen haben die Kontrolle über ihre «Zombie-Geräte» verloren, ohne es überhaupt zu merken. Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden. Es ist gewiss hilfreich, das Sicherheitsbewusstsein der Geräte-Nutzerinnen fortlaufend zu schärfen, um die Stabilität der gesamten IT-Infrastruktur zu stärken. Geben wir es zu: die technologischen Voraussetzungen für E-Voting sind insgesamt nicht makellos oder sogar bedenklich. Berücksichtigen wir aber, dass die gesamte Wirtschaft, unsere Banken, unser Sozial- und Privatleben trotz all dieser Anfälligkeiten noch nicht zusammengebrochen sind, sollten wir dem Experiment «E-Voting» mit der gebotenen Vorsicht eine Chance geben. Sollte es funktionieren, kann die Demokratie damit vereinfacht und sogar neu belebt werden. Andernfalls muss bei den geringsten Anzeichen von Manipulation sofort der Stecker gezogen werden.




Direk­te Bun­des­rats­wahl — hem­mungs­lo­se Demokratie

Die Initiative, welche die direkte Wahl des Bundesrates durch das Volk in der Verfassung verankern möchte, wird die Schweizer Stimmbürger in absehbarer Zukunft beschäftigen. Seit 1848 war die Wahl des Bundesrates Sache der Vereinigten Bundesversammlung, die sich aus den beiden Kammern des Parlaments, dem National- und Ständerat, zusammensetzt. Die höchste legislative Instanz wählt die Mitglieder des höchsten exekutiven Bundesorgans. Nach über 160 Jahren will die von der SVP lancierte Initiative diese Verantwortung dem Stimmvolk übertragen. Die Schweizer Stimmbürger werden mit der heiklen Aufgabe konfrontiert, entweder die eigenen Rechte weiter auszubauen oder die vorhandene Beschränkung zu betonieren.

Diese Initiative ist das politische Nachbeben der Abwahl des SVP-Bundesrates Christoph Blocher. Von Abwahl zu sprechen ist eigentlich falsch, denn das Parlament bestätigte den Übervater der Schweizerischen Volkspartei einfach nicht im Amt. Dies hat sich in der Schweiz erst viermal zugetragen. Dementsprechend gross waren die politischen Verwerfungen, welche aus dieser Nichtwahl hervorgingen. Die neu gewählte SVP-Bundesrätin Frau Eveline Widmer-Schlumpf wurde von der eigenen Partei als Verräterin gebrandmarkt und ausgeschlossen. Eine moderate Minderheit der SVP formierte sich um die neue Bundesrätin und spaltete sich von der Mutterpartei als BDP ab. So entstand die aus demokratischen Gesichtspunkten unbefriedigende Situation, dass einerseits die wählerstärkste Partei der Schweiz im Bundesrat mit einem Sitz eindeutig untervertreten ist und andrerseits eine schwach legitimierte Vertreterin einer Minderheitspartei im Bundesrat einsitzt.

Die Empörung der SVP war grenzenlos, hatte das Parlament doch ihrem Champion, der von vielen SVP-Parteigängern eine nahezu religiöse Verehrung erfährt, die rote Karte gezeigt und des Spielfeldes verwiesen. Die populistische Schlussfolgerung der SVP-Strategen lag auf der Hand: Der Wille des Parlaments entspricht nicht mehr dem Willen des Volkes, denn die "classe politique" hat sich verselbständigt und politisiert am Volk vorbei. Also soll die Wahl des Bundesrates dem Volk übertragen werden. Bei den herrschenden Kräfteverhältnissen in der Schweiz liegt es im Bereich des Möglichen, dass die SVP damit ihre Wunschkandidaten in den Bundesrat katapultieren würde. Somit wäre auch eine Ära Blocher 2.0 nicht mehr auszuschliessen.

Die Frage drängt sich auf, ob das Stimmvolk der schweren Aufgabe einer Bunderats-Direktwahl gerecht werden kann. Kann das Volk in einem emotionalen Wahlkampf tatsächlich die fachliche und menschliche Eignung der Kandidaten erkennen und würdigen? Die Befürchtung, dass das Volk womöglich den lautesten und radikalsten, nicht aber den kompetentesten und konsensfähigsten Kandidaten wählen würde, ist nicht unbegründet angesichts der emotionalen politischen Stimmungslage in der Schweiz. Konsensfähigkeit muss eine zentrale Fähigkeit eines Bundesratskandidaten oder einer Bundesratskandidatin sein, wenn wir an unserem System der Konkordanz, sprich der gemeinsamen Regierungsverantwortung aller grossen Parteien, festhalten wollen. Einen guten Grund dafür gäbe es, denn das Konkordanzsystem galt lange als Garant für wirtschaftliche und politische Stabilität.

Das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat ist Ausdruck der Konkordanz, da Entscheidungen nach Mehrheitsbeschlüssen kollegial und einheitlich getragen werden. Ein Bundesrat muss also die Meinung des Gesamtbundesrates vertreten, auch wenn sie seiner Meinung widerspricht. Alt-Bundesrat Blocher bekundete seine liebe Mühe mit diesem ungeschriebenen Gesetz, was nicht unentscheidend für seine Nicht-Wiederwahl war. Obwohl gemäss der Schweizerischen Bundesverfassung jede/r volljährige Schweizer Bürger/in als Bundesrat wählbar ist, wählt das Parlament in der Regel Personen aus der eigenen Mitte. Die Kandidaten sind den Parlamentarieren bestens vertraut, da sie sich in langjähriger parlamentarischer Arbeit profiliert haben. Die Parlamentarier haben einen geschärften Blick für die menschlichen und fachlichen Qualitäten der Kandidaten.

Nicht zuletzt verhindert die Wahl des Bundesrates durch das Parlament, dass Personen, welche parteipolitsche Interessen über das Konkordanzsystem und das Kollegialitätsprinzip stellen in dieses Gremium einziehen. Eine Volkswahl würde den von den Parteien vorgeschlagenen Exponenten den Vorzug geben, was zu einer verstärkten parteipolitischen Ausrichtung der Bundesräte und einer Schwächung oder Aufhebung der Konkordanz führen könnte. Eine Verschärfung des politischen Klimas in der Schweiz wäre die unmittelbare Folge der direkten Bundesratswahl. Die Vereinigte Bundesversammlung scheint ganz klar besser als das Stimmvolk geeignet zu sein, den richtigen Bundesrat zu erkennen und zu wählen. Ferner spricht gegen eine Direktwahl, dass der Wahlkampf von finanzkräftigen Gruppierungen, welche schweizweit teure Kampagnen fahren können, dominiert würde. Parteien mit bescheidenen finanziellen Mitteln würden dadurch einen klaren Nachteil erfahren.

Die Verlockung, sich als Stimmberechtigter an der Urne selber neue Rechte einzuräumen, ist gross. Wer jedoch unser bewährtes politisches System nicht über den Haufen werfen will, ist gut beraten, die Initiative für eine Direktwahl des Bundesrates abzulehnen. Die direkte Bundesratswahl bedeutet nicht nur eine Erweiterung der politischen Rechte der Schweizer Stimmberechtigten sondern vor allem ein Wechsel des politischen Systems! Warum aber sollte man ein funktionierendes System mit einem experimentellen ersetzen? Die Intitiave zielt zudem ganz klar auf einen Machtausbau der SVP ab. Sie will nicht nur ihre Wunschkandidaten in den Bundesrat bringen, sondern liebäugelt insgeheim mit einem dritten Bundesratsitz. Wer weder einen Systemwechsel noch eine totale Dominanz der SVP wünscht, verzichtet besser auf die Enthemmung der Demokratie und sagt Nein zur Volkswahl des Bundesrates.

Never change a working system!

[d.z]




Rive-Rei­ne: Lob­by­ing im Geheimen

Jährlich treffen sich die Spitzen aus Wirtschaft und Politik am Genfersee im noblen Palast Rive-Reine, welcher heute als Schulungszentrum des Grosskonzerns Nestlé dient. Nestlé ist Gastgeber dieser Veranstaltung, die unter absolutem Ausschluss der Öffentlichkeit und Medien und unter strikter Geheimhaltung stattfindet. Zu den geladenen Gästen zählen die Topshots der Schweizer Wirtschaft, insbesondere der Pharmaindustrie und der Banken. Eingeladen sind auch Parlamentarier, die  mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den wirtschaftsfreundlichen Parteien der Mitte angehören. Dieser Umstand erstaunt nicht, war doch Alt-Bundesrat und FDP-Mitglied Kaspar Villiger, heute Verwaltungsratspräsident der UBS, lange Organisator dieses Treffens. Regelmässig ist auch der Bundesrat mit zwei Mitgliedern vertreten. Auf geistlichen Beistand wird ebenfalls nicht verzichtet, so dass jedes Jahr zwei hohe Vertreter der beiden Landeskirchen auf der Gästeliste stehen. Die NZZ stellt zwei Moderatoren aus der Wirtschaftredaktion. Über die zur Diskussion stehenden Themen ist wenig bis nichts bekannt, da sich die Gäste anscheinend unisono an das Gebot der Verschwiegenheit halten. So äusserte sich im Jahre 2010 ein von den Medien befragter Teilnehmer aus dem Parlament zu den Inhalten der Gespräche, dass diese nicht geheim sondern lediglich vertraulich seien!

Die Zusammensetzung der Gäste lässt jedoch einige Rückschlüsse über den Sinn und Zweck der Rive-Reine-Tagung zu. Vertreter aus Wirtschaft und Politk üben den Schulterschluss. In Zeiten, in denen die Schweizer Wirtschaft, die Banken und in deren Kielwasser auch die Politik von Krisen geplagt werden, käme man vorerst nicht auf die Idee, das Kind beim Namen zu nennen. Bei neutraler Betrachtung kann diese Annäherung von Wirtschaft und Politik aber nur als das identifiziert werden, was es im Innersten eben ist: Lobbying. Gäbe es eine Pressemitteilung zu dieser Tagung, hiesse es da, dass Vertreter der Politik, der Wirtschaft und der Kirche gemeinsam Lösungen für die dringenden Probleme unserer Zeit suchen. De facto geht es aber darum, bessere Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen oder drohenden Gefahren wie einem Boykott der Schweizer Wirtschaft durch islamische Länder zu begegnen. Wirtschaftsthemen werden die Rive-Reine-Tagung dominieren. Kaum vorstellbar ist, dass der Mitgliederschwund der Landeskirchen Gegenstand der Diskussion ist, obwohl auch zwei klerikale Vertreter zugegen sind. Gerade diese beiden Vertreter der Landeskirchen sollen den Eindruck erwecken, dass ein breiter, alle Schichten der Gesellschaft durchdringender Konsens gesucht wird. Damit haben die beiden Kirchenvertreter ihre Schuldigkeit getan.

Die Schweizer Bevölkerung hat dieses Jahr die Rive-Reine-Tagung in Folge medialer Aufmerksamkeit mit einem gehörigen Mass an Empörung wahrgenommen. Es entspricht nicht unserer direktdemokratischen Tradition, dass hinter verschlossenen Türen über die wirtschaftliche und politische Zukunft der Schweiz entschieden wird. Wahrlich gehört es in der Schweiz zum normalen Sumpf der politischen Entscheidungsfindung, dass Lobbyisten auf unsere gewählten Volksvertreter Einfluss zu nehmen versuchen. Dass sich unsere Regierung mit zwei Bundesräten auf einer Lobbyisten-Tagung blicken lässt, mutet hingegen schon sehr seltsam an. Die Anwesenheit zweier Bundesräte auf einer klandestinen Lobby-Tagung ist unangemessen, da die Regierung in den Verdacht gerät, Spielball von Wirtschaftsinteressen zu sein. Vielleicht trifft dies längst zu. Unser Demokratieverständnis stört sich auf jeden Fall daran, weil dies das Volk als Souverän in Frage stellt. Ungeschickt ist ferner, dass der Bundesrat mit seiner Anwesenheit eine undurchsichtige, nicht-öffentliche, geheime Veranstaltung offizialisiert. Zumindest der Bundesrat sollte diesem Treffen fern bleiben, auch wenn mit einer langjährigen Tradition gebrochen würde. Es ist nicht zu befürchten, dass der Bundesrat mit einem Rückzug den Draht zur Wirtschaft oder den Banken verlieren würde, da ja namhafte Interessenvertreter wie Hr. Eugen Haltiner Gremien der Regierurg sogar vorsitzen.

Der Bundesrat 2010

Immer waren der Öffentlichkeit Treffen, welche sub rosa stattfanden, suspekt. Hängt auch eine Rose an der Decke des Rive-Reine-Palastes, wenn sich die Spitzen aus Wirtschaft und Politik alljährlich treffen? Dumm sind jene Wirtschaftlenker, welche in ihren Konzernen über Abteilungen für transparente Firmenkommunikation verfügen, zugleich aber der Meinung sind, ein undurchsichtiger, geheimer Anlass würde in der Öffentlichkeit auf Akzeptanz oder gar Verständnis stossen. Die Geheimniskrämerei rund um diese Veranstaltung ist kontraproduktiv. Immer wurden geheimniskrämerische Vereinigungen wie die Rosenkreuzer oder Freimaurer argwöhnisch und kritisch beurteilt in der öffentlichen Meinung. Die Rive-Reine-Tagung reiht sich nahtlos in diese Traditon ein. Eine geschlossene Gesellschaft der Mächtigen stösst fernab von Verschwörungstheorien auf Ablehnung, die in einen politischen Willen umschlagen kann. Der politische Wille des Schweizer Volkes scheut sich nicht vor Irrationalität, wie die Minarettinitiave gezeigt hat. Herrn Peter Brabeck, seines Zeichens Konzernchef von Nestlé und Hausherr der Rive-Reine-Tagung, wäre es zu empfehlen, dass er vorübergehend seine PR-Maschinerie zweckentfremdet oder zumindest ausgewählten Journalisten den Zutritt zur Tagung gewährt. Die Öffentlichkeit begehrt Einlass!

Abgesehen von dieser singulären Veranstaltung sollte das Thema Lobbying verstärkt diskutiert werden in der Schweiz. Lobbying und Bestechung sind nicht weit voneinader entfernt. Lobbying ist Bestechung der raffinierten Art. Direktzahlungen werden vermieden, Zuwendungen verlassen nicht den Rahmen des Alltäglichen, Versprechungen werden nicht explizit geäussert, ein kleiner Tipp erfüllt zuweilen seinen Zweck, Andeutungen über eine frei werdende Stelle erscheinen unverbindlich, eine Parteispende wird in Aussicht gestellt. Lobbying als Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik wird professionell betrieben. In der Wandelhalle unseres Bundeshauses trifft man nicht selten Interessenvertreter der Wirtschaft, der Banken und der Industrie. Lobbying untergräbt aber demokratische Prozesse, da die politische Entscheidungsfindung manipuliert wird mit zwielichtigen Mitteln, welche dem Volk nicht zur Verfügung stehen. In den Vereinigten Staaten gab es schon eine Reihe handfester Lobbying-Skandale. Auch in Europa kennt man die Problematik, da in Brüssel und Strassburg Lobbyisten wie Fliegen um die Zentren der Macht schwirren. Lobbying gehört auf die politische Traktandenliste, ganz abgesehen von der ungeschickt (nicht-)inszenierten Rive-Reine-Tagung.

[d.z]