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DSGVO und die Schweiz

DSVGO oder GDPR?! Ganz Europa spricht im Moment davon. Ganz? Nein, das Land der HelvetierInnen hört nichts davon, weiss nichts davon, kümmert sich wie oft nicht darum, was jenseits der geistigen Barrikaden vor sich geht. Auf der Insel der Glückseligen, wo fremde Richter gerade Gefahr laufen, entmachtet zu werden, will sich niemand um fremde Gesetze kümmern. Ein solcher Erlass ist die EU-DSGVO. In der ungekürzten Version heisst er Europäische Datenschutz-Grundverordnung. Diese tritt am 25. Mai 2018 in Kraft und wird kräftig am vermeintlichen Unbeteiligtsein von Schweizer Firmen, Institutionen und Privatpersonen rütteln.

«EU-Was?!» kann uns doch gestohlen bleiben, denkt sich der Schweizer reflexartig. Wir sind nicht in der EU, wir wollen nicht in die EU, und überhaupt, die sollen uns in Ruhe lassen! Die Frage ist aber nicht, ob uns die EU behelligt, sondern eher, wie wir mit den Daten von EU-BürgerInnen umgehen. Die Personendaten ihrer BürgerInnen will die EU mit der Datenschutz-Grundverordnung auch im Ausland besser schützen. Diese Verordnung erstreckt sich auf alle natürlichen und juristischen Personen, die weltweit Daten von EU-BürgerInnen verarbeiten. Davon gibt es eben einige in der Schweiz: Personalvermittlungen, Arbeitgeber, Spitäler, Provider, Export-Firmen und eben auch all jene, die eine Webseite betreiben.

DSGVO mit Enter-Taste
Drücken Sie «Enter»! Ab dem 25. Mai 2018 gilt die DSGVO alias GDPR. Bild Pixaby, Lizenz CC0.

Vor allem jene Schweizer Einrichtungen könnten betroffen sein, welche personenbezogene Daten von EU-BürgerInnen kommerziell verarbeiten, speichern, einordnen, zusammenführen und weitergeben. Bei diesen sensiblen Daten handelt es sich um Namen, Anschriften, Bewegungsprofile, Bewerbungsunterlagen, Anstellungsverhältnisse, Kundenlisten, Patientendaten und eben auch IP-Adressen, die beim Besuch einer Webseite in den Logs anfallen. Auch die Hürde zur kommerziellen Verarbeitung personenbezogener Daten ist sehr niedrig und schnell genommen. Dazu reichen Werbe-Einblendungen auf einer Webseite bereits aus. Doch wesentlich problematischer wird es, wenn Webseitenbetreiber BesucherInnen aus EU-Ländern einen Schwarm von Tracking-Technologien unterjubeln, die personenbezogene Daten in datenschutzrechtlich zweifelhafte Drittländer wie die USA exportieren. Viele Schweizer Medienportale mit Reichweite in die EU verwenden solche problematische Technologien.

Sie sollten über die Bücher gehen, denn allem Anschein nach meint es die EU mit dem Datenschutz ihrer BürgerInnen ernst. Mit der DSGVO will sie ihren BügerInnen die Hoheit über ihre persönlichen Daten zurückgeben. Sie verschafft Ihnen umfassende Auskunfts-, Lösch-, und Berichtigungsrechte gegenüber DatenverarbeiterInnen. Letztere werden auf der anderen Seite verpflichtet, ihre Datenverarbeitungstätigkeit zu dokumentieren, gegenüber den Betroffenen transparent kund zu tun und auf Anfragen zu reagieren. Neu gilt für Datenverarbeitungstätigkeiten das Prinzip von «Opt-In», das heisst, dass Betroffene eine ausdrückliche und vorgängige Einwilligung in die Verarbeitung ihrer Personendaten abgeben müssen. Das dürfte der Werbebranche, die sich bislang auf dem «Opt-Out»-Prinzip gesonnt hat, missfallen. Die DSGVO wird etliche an Illegalität grenzende Praktiken von Datensammlern und -verkäufern scharf sanktionieren und trockenlegen. Das ist zu begrüssen.

Inwiefern EU-BürgerInnen ihre neuen Datenschutzrechte auch gegenüber Schweizer DatenverarbeiterInnen geltend machen werden, wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall zielt die DSGVO ganz klar darauf ab, diese Rechte auch gegenüber Firmen ausserhalb der EU-Grenzen durchzusetzen, also auch in der Schweiz. Im Fokus der Verordnung stehen vordergründig amerikanische Tech-Giganten wie Google, Facebook und Amazon, welche die Daten von EU-BürgerInnen im grossen Stil verarbeiten. Diese müssen sich verpflichten, die datenschutzrechtlichen Vorgaben der EU einzuhalten. Ansonsten drohen empfindliche Strafen. Alles deutet darauf hin, dass sich die IT-Riesen an die Verordnung halten werden. EU-BürgerInnen haben somit in naher Zukunft eine mächtige rechtliche Handhabe gegenüber internationalen Konzernen. Im Sinne des Rechts auf Vergessen wird eine EU-BürgerIn beispielweise gegenüber Facebook die Löschung sämtlicher personenbezogener Daten, die über sie gespeichert wurden, einfordern können. Diese Möglichkeit wird SchweizerInnen leider verwehrt bleiben, weil die DSGVO zwar unter gewissen Voraussetzungen gegen sie, aber gewiss nicht für sie gilt. Klartext: Schweizer BürgerInnen sind schlechtergestellt und gehören weiterhin der international vehökerbaren Datenmasse an.

Im Bezug auf die konkrete Umsetzung der DSGVO herrscht momentan in Europa und auch hierzulande heillose Verwirrung. Gerade kleine BetreiberInnen von Webseiten sind mit den hohen Anforderungen der DSGVO rechtlich und technisch überfordert. Sie entscheiden sich deshalb, ihr Blog oder ihre Webseite vom Netz zu nehmen, um sich keinen rechtlichen Risiken auszusetzen. Diese sind zweifellos vorhanden, da sich die DSGVO auf alle erstreckt, die personenbezogene Daten von EU-BürgerInnen verarbeiten, also auch auf WebseitenbetreiberInnen, welche lediglich die IP-Adresse ihrer BesucherInnen erfassen. Das ist bereits eine konkrete Datenverarbeitung. Kontrovers diskutiert wird auch, ob es nach Inkrafttreten der DSGVO noch zulässig sein wird, Content Delivery Networks (CDNs) oder Google Fonts einzubinden. Diese Inhalte stammen zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Drittländern und bringen womöglich eine Verarbeitung personenbezogener Daten mit sich. Es bestehen also kurz vor der rechtskräftigen Einführung der Verordnung etliche Rechtsunsicherheiten, gerade für die BetreiberInnen kleiner Webseiten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Unsicherheiten nicht zu einem wahrhaftigen Blog- und Webseiten-Sterben führen und sich Inhalte nicht bei den grossen, rechtlich und finanziell potenten Plattformen konzentrieren werden. Das Internet würde ärmer und die beabsichtigte Stärkung des Datenschutzes würde sich in das Gegenteil verkehren.

Die Stossrichtung der DSGVO stimmt. Aber eine präzisere Einschränkung der Geltung auf datenverarbeitende Firmen mit einem gewissen Mindestumsatz wäre für ein prosperierendes Internet zwingend notwendig gewesen. Von einer Stärkung des Datenschutzes würde auch die Schweiz und ihre BürgerInnen profitieren. Aber im Alleingang ist es unwahrscheinlich, einen starken Datenschutz international durchzusetzen. Die EU hat gegenüber internationalen Konzernen das notwendige Gewicht dazu. Eine Anlehnung der Schweiz an den EU-Datenschutz wäre unter diesen Umständen zu begrüssen. Das politische Klima in der Schweiz und der fehlende Rahmenvertrag mit der EU lässt eine Annäherung im Moment jedoch kaum zu. Die Auswirkungen der DSGVO werden auf jeden Fall auch in der Schweiz zu spüren sein. Ohne Panik gilt es vorerst, die künftige Rechtsprechung zu Einzelheiten der DSGVO aufmerksam abzuwarten und zu beobachten. Für nicht-kommerzielle WebseitenbetreiberInnen in der Schweiz und in der EU, die Personendaten im erlaubten Rahmen bearbeiten, sind die Risiken kalkulierbar. Datenverarbeitende Firmen mit Reichweite in die EU wiederum sollten sich schleunigst rüsten, um empfindliche Bussen zu vermeiden.

In der Schweiz aber schläft oder verweigert man. Die EU ist weit weg. Noch.

*Dieser Artikel ist keine Rechtsberatung. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigeit oder Richtigkeit.*

 




Die Schweiz im geis­ti­gen Réduit — Euro­pa, Islam, Satan

Wer Europa sagt, tut sich schwer mit diesem Begriff, besonders in der Schweiz. Ob damit die EU als supranationale Institution, Europa als geographische Region oder der Schengenraum als Handels-und Rechts-Zone gemeint ist, bleibt meistens im Dunkeln. Europa ist für viele Schweizer etwas Dunkles, Böses, eigentlich der moderne Satan. Europa - so der gefühlte Bauch-Konsens - stehle uns unsere Identität, unsere Demokratie, unseren Wohlstand, unsere Jobs, unsere Berge, unsere Häuser und unsere Luft, also eigentlich alles. Damit nicht genug: Europa überflute uns zudem mit Sozialhilfe-Empfängern, die uns auf der Tasche liegen und unsere Kultur (des Abendlandes) zerstören. Da beginnt auch schon der Kulturkampf 2.0, und zwar gegen den Islam. Den ersten Kulturkampf haben wir gegen die katholische Kirche geführt, was gerne vergessen wird oder nie gelernt wurde. Als uns der Papst 1870 seine Unfehlbarkeit aufdrücken wollte, haben die Schweizer sich gegen die katholische Kirche aufgebäumt. Unfehlbar in unserer jungen Demokratie konnte schliesslich nur der Souverän sein. Wenn heute christlich-konservative Politiker die «Kultur des Abendlandes» beschwören, handelt es sich also genau um jene christlich-katholische Kultur, der wir einmal eine Abfuhr erteilt haben.

An religiösen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen Fronten stellen Schweizer ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis. Veränderungen unserer kleinen Welt sind hier ebenso wenig willkommen, wie jene, welche diese personifizieren. Eine Frau, die seit Ewigkeiten in der Schweiz wohnt und keine Kirchen- und Kuhglocken mag, wird nicht eingebürgert. Im Tessin gilt neu das Burka-Verbot. Im Baselbiet werden muslimische Schüler mit staatlichem Zwang zum Handschlag mit der Lehrerin ermuntert. Per Volksinitiative haben wir den Bau von Minaretten untersagt. Ein IS-Sympathisant soll ausgebürgert und die Schweizer Staatsbürgerschaft also an Bedingungen geknüpft werden - ein Novum. Die nächste Forderung nach Einführung der Todesstrafe wird früher oder später wieder vorgebracht. Kuscheljustiz lautet der Vorwurf an unsere Rechtsprechung (eine der härtesten in Europa). Dem Ermessenspielraum von Richtern und Behörden wird der Riegel geschoben. Das Gesetz sei nach dem Wortlaut auszulegen. Der Rechtsstaat ist zum Ägernis geworden, das sich gefälligst der Demokratie zu unterwerfen hat. Und wenn dann noch Richter, fremde Richter in Strassburg, die der Schweiz in 99 Prozent aller Fälle recht geben, wagen ein Urteil des Bundesgerichtes zu kassieren, gibt es kein Halten mehr für Kommentarschreiber in Online-Zeitungen. Der Volkszorn tobt, wann immer unser austariertes System Minderheiten vor der Herrschaft der Mehrheit schützt. Die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, wird gerade zur Schreckensherrschaft des Pöbels. Wem etwas nicht passt, soll gehen, so der Grundtenor. Das gilt für Ausländer und andersdenkende Schweizer. Brüssel einfach. Moskau einfach. Mekka einfach. Einfach weg.

Europa sagen ist das eine, doch den Begriff "EU" in den Mund zu nehmen das andere. Letzteres wird eigentlich noch schlimmer als der Islam empfunden. EU steht für Bürokraten, Normierer, Gewinnmaximierer, Undemokraten, Globalisierer, Gleichmacher, so das herrschende Bauchgefühl. Partei-übergreifend wagt fast niemand mehr einen EU-Beitritt zu befürworten. Zu sehr fürchtet man von rechts bis links die eigene Parteibasis. Für die Linken bedeutet die EU Turbo-Kapitalismus. Den will man abschaffen. Für Umweltschützer ist grenzenloses Wachstum gleichbedeutend mit dem Raubbau an der Natur. Hier verbündet man sich auch einmal mit den Rechten, da mehr Zuwanderung auch eine Belastung für die Umwelt darstellt. Die Rechten wiederum sehen in der Zuwanderung nur eine Schlechterstellung der Einheimischen. Der Sonderfall Schweiz wird beschworen. Hier soll alles anders sein, hier können nicht die gleichen Regeln gelten, z.B. für die Landwirtschaft, das vermeintliche Bollwerk unserer Unabhängigkeit. Wir subventionieren die Landwirtschaft mit Milliarden. Was wir Subventionen nennen, nennen andere Protektionismus. Das ist innovations- und handelshemmender Schutz einer Branche vor ausländischer Konkurrenz. Oft vergessen: Subventionen sind Steuergelder.

Die Schweiz leistet sich den Franken, koste es was es wolle. Seit Jahren leidet der Tourismus und die Export-Industrie unter der Frankenstärke. Die Nationalbank investiert Milliarden zur Schwächung des Frankens in Krisenzeiten. Der Franken ist ein einziges Verlustgeschäft. Doch die Schweiz nimmt alle Abstriche und Verluste hin wie ein Land, das sich im Belagerungszustand wähnt. Wir sind umzingelt von der EU, die wir übrigens brauchen und doch nicht wollen. Deshalb wird gejubelt, wenn eine völlig fehlgeleitete Volksbefragung zum Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU führt. Viele glauben, dass die Belagerung nun zu Ende ist. Endlich ist wieder ein Verbündeter in Sicht, endlich könnte die EU infolge einer Kettenreaktion zerbrechen. Das wird nicht geschehen. Im besten Falle wird sich die EU demokratischer gestalten. Im schlechtesten Falle wird sie sich gegenüber Sonderlingen wie der Schweiz verschliessen. Die Schweiz lebt weiterhin im geistigen Réduit und leistet sich das Verlustgeschäft «Alleingang» so lange wie möglich. Momentan sind die Bilateralen wegen der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiave gefährdet. Der Zugang zum europäischen Binnenmarkt, die Personenfreizügigkeit (auch Schweizer haben die), die Teilnahme an Forschungs- und Bildungsprogrammen stehen auf dem Spiel. Die Schweizer Volkspartei (SVP) wähnt sich nach dem Brexit in der Position, die Bilateralen aufzukünden. Die Schweiz hätte dann in Europa denselben Status wie Sierra Leone oder Paraguay.

Die Kündigung der Bilateralen könnte jedoch der Boomerang sein, der uns direkt in die EU führt. Die Auswirkungen eines vertragslosen Zustandes mit der EU wären für unsere Wirtschaft und unseren Arbeitsmarkt dermassen verheerend, dass sich die Schweiz sofort für einen EU-Beitritt entscheiden würde. Erst wenn der Leidensdruck wächst, kehrt hier Vernunft ein. Davon sind wir jedoch weit entfernt. Die Zeit der geistigen Erstarrung und Umnachtung erlebt gerade ihren Höhepunkt. Blindwütiger Nationalismus macht sich breit. Die Schweiz den Schweizern! Nein, die Schweiz den Eidgenossen. Den Schweizer Pass könne sich ja jeder heute erschleichen. Und eine Fussballnationalmannschaft hätte man auch nicht mehr. Man schaue sich mal die Namen der Spieler an. So tönt es landauf, landab. Das meinen diese Eidgenossen ernst. Sie kritisieren, dass die Nationalhymne nicht gesungen wird, obwohl sie diese selber nicht singen können. Dass freilich aus verfehlten Nationalismus schnell auch Rechtsextremismus werden könnte, wird unterschätzt. In ländlichen, sozial schwächeren und bildungsfernen Schichten der Gesellschaft brodelt dieser bereits seit einiger Zeit. Dieser Tendenz gilt es mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten.

Die Schweiz wird gerade von Emotionalität und Irrationalität regiert. Eine Demokratie, die so tickt, ist nicht in der Lage auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren. Wo sich sich bewegen müsste, igelt sich sich ein und verpasst den Anschluss. Probleme machen nicht halt an unseren Grenzen, mit oder ohne Stacheldraht. Die Schweiz muss teilnehmen am Projekt Europa. Sie kann beitragen zu einem demokratischeren Europa, welches für sie überlebenswichtig ist. Es führt keine Weg an Europa vorbei, früher oder später.