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E‑Voting — Das Ende der Demokratie?

#tldr: E-Voting birgt neben Chancen auch etliche technologische Risiken, welche die Glaubwürdigkeit von demokratischen Entscheidungen in Frage stellen könnten. Zumindest das Experiment sollte gewagt werden, weil E-Voting den Zugang zur Demokratie gerade für junge Stimmbürgerinnen erleichtert.

Gegner und Befürworter von E-Voting machen in der Schweiz gerade mobil, da die Einführung der elektronischen Stimmabgabe auf das Jahr 2019 vorgesehen ist. Während etliche europäische Länder die Lancierung von E-Voting aus Sicherheitsbedenken auf Eis gelegt haben, glaubt die Schweiz, dieser technologischen Herausforderung gewachsen zu sein. Die Technologien sind vorhanden. Nahezu alle Stimmbürger verfügen über elektronische Kommunkations-Geräte oder einem Zugang zu solchen und können diese - vielleicht auch nur unter Anleitung - bedienen. Gerade die ältere Generation ist im Bezug auf die Bedienung elektronischer Geräte nicht ganz sattelfest. Die Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe müsste für eine Übergangsphase bestehen bleiben. Zudem wäre eine pflegliche Begleitung der älteren Generation in die digitale Demokratie angezeigt.

Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

E-Voting verspricht auf den ersten Blick eine Vereinfachung und Beschleunigung der demokratischen Entscheidungsfindung. Die Administration von Wahlen und Abstimmungen, die Stimmabgabe und Stimmauszählung würde zweifellos schneller, komfortabler und kostensparender über die Bühne gehen. Ein vereinfachter Zugang zu Wahlen und Abstimmungen kann mehr Wählerinnen und Stimmbürgerinnen mobilisieren: ein Gewinn für die Demokratie. Würde dieser Effekt aber ausbleiben, wäre die viel beschworenen Politik-Verdrossenheit wohl Tatsache. Ferner ist zu hoffen, dass die Beschleunigung von demokratischen Prozessen durch E-Voting nicht zu einer Flut von Vorlagen führt, welche die Stimmbürgerinnen überrollt, überfordert und abstumpft. Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht.

Was spricht also gegen die Einführung von E-Voting? Gegner des E-Votings geben zu bedenken, dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse dadurch leichter manipulierbar seien. Wenn Wahlen und Abstimmungen manipuliert werden können und somit nicht mehr den Willen des Stimmvolkes abbilden, ist die Demokratie tatsächlich am Ende angelangt. Fraglich bleibt, warum wir bislang die Gewissheit hatten, dass die Demokratie mit dem System der brieflichen Stimmabgabe nicht manipuliert wurde. Diese Gewissheit beruht auf dem Vertrauen in das System. Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht. Bei elektronischen Verfahren wiederum ist die genaue Funktionsweise vielleicht nicht einmal mehr für Experten nachvollziehbar. E-Voting setzt also voraus, dass wir jenen Experten, die das System entwickelt und überprüft haben, blind vertrauen müssen. Komplexe Software ist jedoch nie frei von Fehlern. Das Vertrauen in E-Voting-Software wackelt hier zum ersten Mal.

Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind.

Ein möglicher Angriffsvektor ist die Manipulation der Software auf den Servern oder auf den Abstimmungsgeräten (Computern, Tablets, Smartphones) der Stimmbürgerinnen. Die Gefahr eines erfolgreichen Angriffs auf die IT-Infrastruktur eines Landes ist reel, wie der aktuelle «Hack» des deutschen Bundestages unterstreicht. Auch der schweizerische Rüstungskonzern Ruag wurde schon digital unterwandert. Sollte es Angreifern gelingen, in sensibelste Bereiche der E-Voting-Infrastruktur vorzudringen, ist es um die Demokratie geschehen. Die Erfahrung zeigt, dass solche gezielten Angriffe stattfinden und vielfach den beabsichtigten Schaden herbeiführen. Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind. Auch die Motivation für solche Angriffe ist gegeben, zumal es bei Abstimmungen wie bspw. über die Beschaffung von Kampfflugzeugen um Milliarden von Franken geht. Anderseits fliessen aber die Erkenntnisse über mögliche Angriffsvektoren in die Entwicklung der E-Voting-Software ein. Die Entwickler werden versuchen, die Software und die Hardware gegen alle denkbaren Angriffe zu härten.

Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten?

Auch wenn wir der Software vertrauen könnten, darf die Sicherheit der Hardware, der Elektronik, nicht aus den Augen verloren werden. Leider ist das Vertrauen in die Hardware erschüttert, seit bekannt wurde, dass jahrelang gravierende Sicherheitslücken in fast allen modernen Prozessoren klafften. «Meltdown» und «Spectre» wurden diese beiden Angriffsvektoren getauft. Diese Sicherheitslücken erlaubten oder erlauben noch immer das unberechtigte Auslesen von hochsensiblen Daten wie Passwörtern auf allen Betriebssystemen. Die einzig wirkliche Abhilfe für dieses Problem ist eine neue Prozessorgeneration, welche auf einer anderen Architektur beruht. Es wird wahrscheinlich noch ein Jahrzehnt vergehen, bis die letzten der anfälligen Prozessoren nicht mehr zum Einsatz kommen. Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten? Diese Garantie ist angesichts der zunehmenden Komplexität von Technologie nicht vorhanden.

Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden.

Auch die Endgeräte der Stimmbürgerinnen sind leider alles andere als sicher. Etliche Computer und Smartphones sind infiziert mit Trojanern und Viren. Deren Nutzerinnen haben die Kontrolle über ihre «Zombie-Geräte» verloren, ohne es überhaupt zu merken. Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden. Es ist gewiss hilfreich, das Sicherheitsbewusstsein der Geräte-Nutzerinnen fortlaufend zu schärfen, um die Stabilität der gesamten IT-Infrastruktur zu stärken. Geben wir es zu: die technologischen Voraussetzungen für E-Voting sind insgesamt nicht makellos oder sogar bedenklich. Berücksichtigen wir aber, dass die gesamte Wirtschaft, unsere Banken, unser Sozial- und Privatleben trotz all dieser Anfälligkeiten noch nicht zusammengebrochen sind, sollten wir dem Experiment «E-Voting» mit der gebotenen Vorsicht eine Chance geben. Sollte es funktionieren, kann die Demokratie damit vereinfacht und sogar neu belebt werden. Andernfalls muss bei den geringsten Anzeichen von Manipulation sofort der Stecker gezogen werden.




Gölä — der Pro­let irrt

"Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten". Diese harte Redewendung sollte nur in absoluten Ausnahmefällen bemüht werden. Dem Gölä, der sich im Blick zur Lage der Nation geäussert hat, lasse ich sie jedoch angedeihen. Er bombardiert uns mit Clichés, Halbwissen, Irrtümern und Binsenweisheiten, dass einem Galle hochkommt. Ich möchte an dieser Stelle zeigen, warum Göla besser geschwiegen hätte.

1. Aussage von Gölä: Der Staat gibt allen vorbehaltslos Sozialhilfe

Antwort: Nein, es gibt klare Voraussetzungen für den Bezug von Sozialhilfe und der Staat erwartet, dass Sozialhilfe zurückerstattet wird.

2. Aussage von Gölä: Junge Leute beziehen Sozialhilfe aus Faulheit

Antwort: Nein, viele junge Leute haben heute auf dem Arbeitsmarkt schlicht keine Chance. Der Dienstleistungssektor ist der grösste Wirtschaftszweig der Schweiz. Dieser braucht gut ausgebildete Spezialisten. Diesen Anforderungen genügen längstens nicht mehr alle Stellensuchenden.

3. Aussage von Gölä: Psychische Krankheiten sind kein Grund für Arbeitslosigkeit und Bezug von Sozialhilfe.

Antwort: Ich wünsche Gölä einen Bipolaren oder einen Schizofrenen als Arbeitskollegen. Ferner vergisst unser singender Prolet, dass bei solchen Krankheitsbildern intensive Abklärungen vorgenommen werden. Leute, die von einem Burnout betroffen sind, sind weder arbeits- noch handlungsfähig. Sie sind dermassen gebremst, dass an Arbeit nicht mehr zu denken ist. Gölä sollte sich mit Betroffenen auseinandersetzen, bevor er Psychisch-Kranke auf den Bau schickt.

4. Aussage von Gölä: Die Arbeitswelt seiner Grosseltern war härter.

Antwort: Die Arbeitswelt seiner Grosseltern auf die heutige Zeit zu übertragen, ist ein verfehltes Unterfangen. Alles, aber wirklich alles hat sich verändert. Mit Fleiss und Eifer alleine gewinnt man heute keinen Blumentopf mehr. Die Anforderungen, die an heutige Arbeitnehmer gestellt werden, sind um ein Vielfaches höher. Heute werden fachliche, menschliche, intellektuelle und kommunikative Fähigkeiten gefordert. Seine Grosseltern würden heute Sozialhilfe beziehen, wenn man diesen historischen Vergleich der Arbeitswelten schon anstellen möchte.

5. Aussage von Gölä: Das Pack von Bern...

Antwort: Damit meint er wohl unsere gewählten Volksvertreter. Egal, ob es sich um Vertreter der SVP oder der SP handelt: diese Politiker sind rechtmässig gewählte Repräsentanten des Volkes. Sie als Pack zu bezeichnen, ist eine Ohrfeige für alle WählerInnen und zeugt von mangelnder demokratischer Gesinnung.

6. Aussage von Gölä: Kein Lehrer rät seinen Schülern eine Lehre zu machen.

Antwort: Völlig falsch. Lehrstellensuche ist das A und O der Sekundarstufe. Lehrpersonen reissen sich den Arsch auf, damit ihre Schüler Lehrstellen finden. Das war ein bisschen salopp ausgedrückt. Aber vielleicht versteht Gölä ja nur diese Sprache.

7. Aussage von Gölä: Die EU ist ein künstliches Gebilde. Verschiedene Völker und Kulturen werden gewaltsam vereint, müssen nach denselben Regeln leben.

Antwort: Die Schweiz ist auch ein künstliches Gebilde. Abgesehen davon leben die "Völker" der EU nicht nach denselben Regeln. Es gilt nationales Recht. Aha... da staunt der Prolet.

8. Aussage von Gölä: Ich freue mich auch auf den Moment, wo es auf der Welt nur noch eine Hautfarbe gibt, weil alle Menschen sich untereinander vermischt haben.

Antwort: Wenn das die Lösung für Rassismus ist, dann gute Nacht. Rassismus darf es gerade wegen ethnischer Unterschiede nicht geben. Nein, diese Welt wird sich nicht zu einer Herrenrasse durchmischen, lieber Gölä.

Göläs Aussagen entpuppen sich als proletarische Phrasendrescherei, die schnell widerlegt ist. Lieber Gölä, ich wiederhole: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten".




Gekauf­te Pres­se — über die Rol­le der Medi­en bei Wahlen

Unabhängig soll die Presse sein, lautet der Grundtenor. Die vierte Macht im Staat werden die Medien gerne genannt. Die Presse selbst bezeichnet Unabhängigkeit als ihre Maxime. Trotzdem wird sie nicht müde diese eigenhändig aufzuweichen. Nicht nur Eigenwerbung wie «meinungsstark» sondern auch tendenziöse Berichterstattung vor Nationalratswahlen werfen ein schlechtes Licht auf die Neutralität der Presse.

Wer ist eigentlich Philipp Müller? Noch vor Wochen hätten viele geantwortet, dass sie diesen Namen schon einmal gehört hätten, dass sie aber keine Ahnung hätten, was der eigentlich tut. Mittlerweile kennen alle die Farbe von Müllers Unterhosen. Müller, der Hemdsärmlige. Müller, der Anpacker. Müller, der Macher. Müller, der Problemlöser. Müller, der Erlöser. Mit solchen Schlagzeilen hat uns die Presse in den letzten Wochen zuge-müll-ert.

Sogar das SVP-Blatt «Weltwoche» widmet der FDP eine prominente Titelstory: "Die FDP gibt Gas". Die Titelseite zeigt einen karikierten Müller, der im Kinderauto den Konkurrenten davonbraust. Müller ist im Trend, reitet auf der Welle des Erfolges und gibt sofort das sportliche Ziel von 18 Prozent Wähleranteil heraus. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den 18-Prozent-Möllemann (FDP) aus Deutschland? Tief ist er gefallen, in Prozenten. Unser Müllermann aber startet raketenhaft durch und kennt nur eine Richtung. Hoffentlich spielt ihm die politische Gravitation keinen Streich.

Auf der anderen Seite tobt die Köppel-Mania. Medien werden von diesem Polarisierer angezogen wie die Motten vom Licht. Nicht nur seine Anhänger sondern auch seine politischen Gegner sind fasziniert und angewidert zugleich von seiner Art und seinen Aussagen. Köppel ist gefragt. Er repräsentiert die neue intellektuelle Elite der SVP, einer ehemaligen Bauernpartei. Dieser Reizfigur wird eine mediale Plattform nach der anderen geboten. Köppel garantiert Einschaltquoten. Es ist aus Sicht der Medienverantwortlichen ziemlich egal, was er inhaltlich absondert.

Sind es nur die Quoten, welche zählen und die Omnipräsenz solcher Figuren ausmachen? Es gibt einen anderen Faktor, der gerne übersehen wird. Die grossen Parteien pumpen Unmengen Geld in die Verlage und Medienhäuser - in Form von Werbung und Inseraten. Die gebeutelte Presse schwimmt endlich wieder im Geld. Inserate-Abteilung und Redaktion sind strikte getrennt, lautet das Mantra der Medienschaffenden. Doch psychologisch ist es mehr als wahrscheinlich, dass man die politischen Investoren nicht verägern wird oder ihnen sogar zusätzlichen Raum verschafft - in der Hoffnung auf weitere Investitionen.

Das erklärt, warum Kleinparteien sozusagen aus der politischen Berichterstattung verschwinden. Vor den Wahlen veranstaltet die Presse gerne ein Kleinparteien-Schauen. Dort stellt man diese Wilden in Käfigen vor das belustigte Publikum. Vielleicht bittet man sie, ein Tänzchen aufzuführen: «Tanz, Exot, tanz!». In der entscheidenden Wahlphase blendet die Presse diese Parteien dann komplett aus. Plötzlich gibt es beispielsweise im Aargau nur noch sieben Parteien, obwohl 16 Listen zur Wahl antreten. Umfragen ignorieren Kleinparteien generell oder führen komplett falsche Listen. Nach einer 20-Minuten-Umfrage treten im Aargau die AL (Alternative Liste) und die SD (Schweizer Demokraten) an. Das ist absoluter Unsinn. Parteien, welche tatsächlich antreten, werden nicht genannt. Ist das Kalkül oder Stümperei? Beides ist nicht zu entschuldigen.

Der Wähler kann sich ein Bild der politischen Landschaft machen, heisst es. Leider zeigt die Presse dem Wähler aber nur einen kleinen Ausschnitt. Die Presse schwört den Leser und Wähler auf die etablierten Parteien ein. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Kleinparteien auch in Zukunft klein bleiben. Die "unabhängige" Presse trägt ihren Teil dazu bei. Nun bleibt die grosse Frage: Ist die Presse käuflich?

Ja. Nur handelt es sich nicht um Korruption sondern um ein intertemporales Tauschgeschäft. Verliererin ist die Demokratie.




Ein offe­nes Geheimnis

Nach der überstürzten und vom Bundesverwaltungsgericht als illegal beurteilten Herausgabe von Bankkundendaten an die USA steht die Schweiz erneut unter gewaltigem Druck. Wieder geht dieser von einem Land aus, welches - wahrscheinlich zu Recht - hinterzogene Steuergelder in Milliardenhöhe auf Schweizer Bankkonten vermutet. Die deutsche Regierung scheint gewillt, einem Datendieb eine CD mit detailierten Angaben zu deutschen Steuersündern abzukaufen. Dass die deutsche Regierung nicht davor zurückschreckt, Geschäfte mit Kriminellen zu machen, veranschaulicht nicht nur den Zustand der Politkultur in unserem Nachbarland sondern auch die gähnend leeren Kassen des deutschen Staates. Deutschlands moralische, rechtliche und finanzielle Probleme sind jedoch bedeutungslos im Vergleich zur fundamentalen Systemkrise, welche die Schweiz erfasst hat.

Durch konzertierten Druck aus den Vereinigten Staaten und unseren direkten Nachbarländern ist in der Schweiz ein heilloses rechtstaatliches und politisches Durcheinander ausgebrochen, welches die Grundfeste der Schweizer Alpenfestung erschüttert. Jahrzehnte lang verschanzte sich die Schweiz hinter dem Mythos der Neutralität und des Bankgeheimnisses. Wie neutral aber ist es, Konten von Diktatoren und Verbrechern und Schwarzkonten von Steuernbetrügern zu verwalten? Das Bankgeheimnis, einst als Schutz des Kunden vor den Banken gedacht, wurde zu einem offenkundigen Anreiz, Geld im grossen Stil vor dem Zugriff des Fiskus auf Schweizer Banken zu verstecken. Auf Kosten unserer Nachbarn haben wir uns Jahrzehnte lang bereichert, während wir unsere Hände in Unschuld wuschen. Darauf haben wir unseren Wohlstand aufgebaut. Das ist die Lebenslüge der Schweiz.

Unwahrscheinlich ist, dass das Bankgeheimnis in der jetztigen Form aufrecht erhalten werden kann, nachdem die Grossbanken ihre Glaubwürdigkeit verloren haben und von staatlicher Seite wieder an die kurze Leine gelegt werden. Die Banken haben ihren Bonus verspielt, nachdem sie alle Relationen verloren und die Welt an den Rand des Ruins getrieben hatten. Bei solchen unrühmlichen Aktionen immer ganz vorne mit dabei sind natürlich unsere Schweizer Banken. Dass in den Vorständen die Moral schon lange der totalen Gewinnorientierung gewichen ist, haben schon einige Skandale vorweg genommen. Erinnern wir uns an die Äffäre "Meili", welche eigentlich eine Äffäre "UBS" war! Wachmann Meili rettete die Akten nachrichtenloser jüdischer Vermögen vor dem Schredder. Die Boulvardpresse brandmarkte ihn als Landesverräter. Ausgeklammert wurde dabei, dass sich die UBS mit der Vernichtung dieser Akten klammheimlich Milliarden unter den Nagel reissen wollte.

Der Ruf der Banken bröckelt wie das Bankgeheimnis, das eine quasi-mafiöse Entwicklung der Banken begünstigte. Banker wurden als Touristen in die USA geschickt, wo sie Anlegern, sprich Steuerbetrügern, behilflich waren, ihr Geld auf Schweizer Konten verschwinden zu lassen. Nur eine Garantie vor Strafverfolgung konnte diesen Anlegern gegeben werden: das Bankgeheimnis. Rechtshilfegesuche von ausländischen Steuerbehörden waren bislang daran abgeprallt. Sinnigerweise richtete sich die staatliche Aufmerksamkeit in Folge der von den Banken selbst verschuldeten Finanzkrise agressiv auf die entgangenen Steuereinahmen, welche unter anderem auf Schweizer Bankkonten vermutet wurden. Dem Begehren der USA folgte eine eilfertige Herausgabe von Finanzdaten. Obwohl diese mittlerweile vom Verwaltungsgericht gestoppt wurde, bedeutet dies bereits eine wesentliche Relativierung des Bankgeheimnisses.

Auch unsere direkten Nachbarn lecken Blut, verständlicherweise. An der Grenze zu Italien stehen keine Zöllner mehr sondern Mitglieder der Guardia Finanza, der italienschen Finanz- und Wirtschaftspolizei. Italien setzt ein deutliches Zeichen, dass der Abfluss von Steuergeldern nicht länger geduldet wird. Auch der französische Staat hat bereits sein Interesse an gestohlenen Finanzdaten aus der Schweiz bekundet. Deutschland wird dieses Tabu jetzt brechen. Nur die Österreicher regen sich nicht, da wir nicht nur die Alpen und das Skifahren sondern auch das Bankgeheimnis gemeinsam haben. Sie werden sich hüten, daran zu rütteln. Trotzdem muss das Bankgeheimnis in der heutigen Form einer grundlegenden Reform unterzogen werden. Das läutet nicht das Ende des Goldenen Zeitalters der Schweizer Banken ein, denn dem haben unsere Banker im Wahn der Masslosigkeit schon selber eine Ende gesetzt. Sinn und Zweck eines Bankgeheimnisses kann und darf nicht sein, Steuerhinterziehung und -betrug im Ausland zu fördern und anderen Ländern einen empfindlichen finanziellen Schaden zuzufügen. Der einzige politsch und rechtlich korrekte Weg, der aus diesem Schlamassel führt, ist eine gründliche Reform des Bankgeheimnisses.

Mächtige Finanz- und Wirtschaftkreise werden sich dagegen stemmen. Die SVP wird das Lied der Neutralität singen und den Wohlstand und die Existenz unseres Landes vom heutigen Bankgeheimnis abhängig machen. Doch der kleine Mann und die kleine Frau sollten sich vor Augen führen, dass das Bankgeheimnis nicht ihnen sondern den Reichen dieser Welt, welche mittels Steuerbetrug noch reicher werden, dient. Es ist zu erwarten, dass eine Reform des Bankgeheimnisses zu einer jahrelangen Erstarrung der schweizerischen Innen- und Aussenpolitik führt. Die eine Seite wird Internationale Solidarität fordern, während die andere zur Hellebarde der Geistigen Landesverteidung greift. Der aussenpolitische Druck wird weiter zunehmen bis zur Unerträglichkeit. Erst dann werden wir uns bewegen wie trotzige Bauerntölpel, weil wir nicht anders können. Oder, Toni Brunner?

[d.z]

Weiterführende Links:
"Wir haben so viel Mist gebaut"
Anwalt stellt Strafanzeige gegen Merkel




Rive-Rei­ne: Lob­by­ing im Geheimen

Jährlich treffen sich die Spitzen aus Wirtschaft und Politik am Genfersee im noblen Palast Rive-Reine, welcher heute als Schulungszentrum des Grosskonzerns Nestlé dient. Nestlé ist Gastgeber dieser Veranstaltung, die unter absolutem Ausschluss der Öffentlichkeit und Medien und unter strikter Geheimhaltung stattfindet. Zu den geladenen Gästen zählen die Topshots der Schweizer Wirtschaft, insbesondere der Pharmaindustrie und der Banken. Eingeladen sind auch Parlamentarier, die  mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den wirtschaftsfreundlichen Parteien der Mitte angehören. Dieser Umstand erstaunt nicht, war doch Alt-Bundesrat und FDP-Mitglied Kaspar Villiger, heute Verwaltungsratspräsident der UBS, lange Organisator dieses Treffens. Regelmässig ist auch der Bundesrat mit zwei Mitgliedern vertreten. Auf geistlichen Beistand wird ebenfalls nicht verzichtet, so dass jedes Jahr zwei hohe Vertreter der beiden Landeskirchen auf der Gästeliste stehen. Die NZZ stellt zwei Moderatoren aus der Wirtschaftredaktion. Über die zur Diskussion stehenden Themen ist wenig bis nichts bekannt, da sich die Gäste anscheinend unisono an das Gebot der Verschwiegenheit halten. So äusserte sich im Jahre 2010 ein von den Medien befragter Teilnehmer aus dem Parlament zu den Inhalten der Gespräche, dass diese nicht geheim sondern lediglich vertraulich seien!

Die Zusammensetzung der Gäste lässt jedoch einige Rückschlüsse über den Sinn und Zweck der Rive-Reine-Tagung zu. Vertreter aus Wirtschaft und Politk üben den Schulterschluss. In Zeiten, in denen die Schweizer Wirtschaft, die Banken und in deren Kielwasser auch die Politik von Krisen geplagt werden, käme man vorerst nicht auf die Idee, das Kind beim Namen zu nennen. Bei neutraler Betrachtung kann diese Annäherung von Wirtschaft und Politik aber nur als das identifiziert werden, was es im Innersten eben ist: Lobbying. Gäbe es eine Pressemitteilung zu dieser Tagung, hiesse es da, dass Vertreter der Politik, der Wirtschaft und der Kirche gemeinsam Lösungen für die dringenden Probleme unserer Zeit suchen. De facto geht es aber darum, bessere Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen oder drohenden Gefahren wie einem Boykott der Schweizer Wirtschaft durch islamische Länder zu begegnen. Wirtschaftsthemen werden die Rive-Reine-Tagung dominieren. Kaum vorstellbar ist, dass der Mitgliederschwund der Landeskirchen Gegenstand der Diskussion ist, obwohl auch zwei klerikale Vertreter zugegen sind. Gerade diese beiden Vertreter der Landeskirchen sollen den Eindruck erwecken, dass ein breiter, alle Schichten der Gesellschaft durchdringender Konsens gesucht wird. Damit haben die beiden Kirchenvertreter ihre Schuldigkeit getan.

Die Schweizer Bevölkerung hat dieses Jahr die Rive-Reine-Tagung in Folge medialer Aufmerksamkeit mit einem gehörigen Mass an Empörung wahrgenommen. Es entspricht nicht unserer direktdemokratischen Tradition, dass hinter verschlossenen Türen über die wirtschaftliche und politische Zukunft der Schweiz entschieden wird. Wahrlich gehört es in der Schweiz zum normalen Sumpf der politischen Entscheidungsfindung, dass Lobbyisten auf unsere gewählten Volksvertreter Einfluss zu nehmen versuchen. Dass sich unsere Regierung mit zwei Bundesräten auf einer Lobbyisten-Tagung blicken lässt, mutet hingegen schon sehr seltsam an. Die Anwesenheit zweier Bundesräte auf einer klandestinen Lobby-Tagung ist unangemessen, da die Regierung in den Verdacht gerät, Spielball von Wirtschaftsinteressen zu sein. Vielleicht trifft dies längst zu. Unser Demokratieverständnis stört sich auf jeden Fall daran, weil dies das Volk als Souverän in Frage stellt. Ungeschickt ist ferner, dass der Bundesrat mit seiner Anwesenheit eine undurchsichtige, nicht-öffentliche, geheime Veranstaltung offizialisiert. Zumindest der Bundesrat sollte diesem Treffen fern bleiben, auch wenn mit einer langjährigen Tradition gebrochen würde. Es ist nicht zu befürchten, dass der Bundesrat mit einem Rückzug den Draht zur Wirtschaft oder den Banken verlieren würde, da ja namhafte Interessenvertreter wie Hr. Eugen Haltiner Gremien der Regierurg sogar vorsitzen.

Der Bundesrat 2010

Immer waren der Öffentlichkeit Treffen, welche sub rosa stattfanden, suspekt. Hängt auch eine Rose an der Decke des Rive-Reine-Palastes, wenn sich die Spitzen aus Wirtschaft und Politik alljährlich treffen? Dumm sind jene Wirtschaftlenker, welche in ihren Konzernen über Abteilungen für transparente Firmenkommunikation verfügen, zugleich aber der Meinung sind, ein undurchsichtiger, geheimer Anlass würde in der Öffentlichkeit auf Akzeptanz oder gar Verständnis stossen. Die Geheimniskrämerei rund um diese Veranstaltung ist kontraproduktiv. Immer wurden geheimniskrämerische Vereinigungen wie die Rosenkreuzer oder Freimaurer argwöhnisch und kritisch beurteilt in der öffentlichen Meinung. Die Rive-Reine-Tagung reiht sich nahtlos in diese Traditon ein. Eine geschlossene Gesellschaft der Mächtigen stösst fernab von Verschwörungstheorien auf Ablehnung, die in einen politischen Willen umschlagen kann. Der politische Wille des Schweizer Volkes scheut sich nicht vor Irrationalität, wie die Minarettinitiave gezeigt hat. Herrn Peter Brabeck, seines Zeichens Konzernchef von Nestlé und Hausherr der Rive-Reine-Tagung, wäre es zu empfehlen, dass er vorübergehend seine PR-Maschinerie zweckentfremdet oder zumindest ausgewählten Journalisten den Zutritt zur Tagung gewährt. Die Öffentlichkeit begehrt Einlass!

Abgesehen von dieser singulären Veranstaltung sollte das Thema Lobbying verstärkt diskutiert werden in der Schweiz. Lobbying und Bestechung sind nicht weit voneinader entfernt. Lobbying ist Bestechung der raffinierten Art. Direktzahlungen werden vermieden, Zuwendungen verlassen nicht den Rahmen des Alltäglichen, Versprechungen werden nicht explizit geäussert, ein kleiner Tipp erfüllt zuweilen seinen Zweck, Andeutungen über eine frei werdende Stelle erscheinen unverbindlich, eine Parteispende wird in Aussicht gestellt. Lobbying als Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik wird professionell betrieben. In der Wandelhalle unseres Bundeshauses trifft man nicht selten Interessenvertreter der Wirtschaft, der Banken und der Industrie. Lobbying untergräbt aber demokratische Prozesse, da die politische Entscheidungsfindung manipuliert wird mit zwielichtigen Mitteln, welche dem Volk nicht zur Verfügung stehen. In den Vereinigten Staaten gab es schon eine Reihe handfester Lobbying-Skandale. Auch in Europa kennt man die Problematik, da in Brüssel und Strassburg Lobbyisten wie Fliegen um die Zentren der Macht schwirren. Lobbying gehört auf die politische Traktandenliste, ganz abgesehen von der ungeschickt (nicht-)inszenierten Rive-Reine-Tagung.

[d.z]