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Das Coro­na­kel

Das drohende Corona-Debakel

Die epidemiologischen Zeichen stehen nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa auf Sturm. Doch die Reaktion der Schweiz auf eine sich abzeichnende zweite Welle ist verhalten und uneinheitlich. Der Bundesrat hält sich vornehm zurück und beobachtet, während die Kantone einen Flickenteppich von Massnahmen hervorbringen. In fast allen Kantonen gelten andere Vorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie. In einem Punkt scheinen sich jedoch fast alle insofern einig zu sein, als sie einen wirtschaftlichen, sozialen und auch demokratischen Schaden durch allzu einschneidende Massnahmen vermeiden wollen. Die Zügel werden dementsprechend locker gelassen. So werden beispielweise geltende Abstandsregeln weder eingehalten, noch wird deren Missachtung sanktioniert.

Schweiz im Normalbetrieb

Die schweizerische Bevölkerung ihrerseits hat selbstständig auf beruflichen und sozialen Normalbetrieb umgestellt. Die wenigsten nehmen die Bedrohung durch das neue Corona-Virus noch ernst oder glauben weiter an den mehrfach widerlegten Grippe-Vergleich. Weiterhin verbreiten einige Kreise, die durch Corona verursachte Sterblichkeit unterscheide sich nicht von jener einer normalen Grippewelle. Dabei wird völlig ausser Acht gelassen, dass der Bund mittels Lockdown kräftig auf die Notbremse getreten ist und somit Schlimmeres verhindert hat. Momentan beklagt die Schweiz deshalb «nur» 1789 an Covid-19 Verstorbene. Im Vergleich dazu zählt man im Vereinigten Königreich zurzeit 42‘000 Tote. Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich müssten wir in der Schweiz bei vergleichbarer Mortalitätsrate ca. 5250 Corona-Tote aufweisen. Es scheint, dass das schweizerische Gesundheitssystem und die Disziplin der Bevölkerung während des Lockdowns sich sehr günstig auf die Sterblichkeit durch Corona ausgewirkt hat.

Sonderfall-Mentalität

In solchen Situationen verfallen Schweizerinnen und Schweizer allzu leichtsinnig in das eingebrannte Sonderfall-Denken. Man hält es schlicht und einfach für unmöglich, dass hier in der Schweiz ähnlich negative Entwicklungen wie in Spanien, Frankreich, Belgien oder den Niederlanden eintreten. Schon meldet das Bundesamt für Gesundheit am Mittwoch, dem 7. Oktober 2020, 1071 Corona-Infektionen. Es zeichnet sich hier ein exponentieller Trend ab, eine veritable Explosion von Covid-19-Erkrankungen. Kritiker halten dagegen, dass die Hospitalisierungen und Todesfälle auf einem tiefen Niveau verharren. Die Erfahrung aber zeigt, dass die Todesfälle den neu gemeldeten Infektionen bis zu zwei Wochen hinterherhinken. Die Todesfälle werden sich zwangsläufig häufen, auch wenn sich die Ansteckungen momentan noch auf weniger gefährdete Altersgruppen konzentrieren. Das Virus aber hat schon im Frühjahr gezeigt, dass es problemlos die Alterspyramide hochkraxelt und zu den Alten und Vulnerablen gelangt.

Die Corona-Milchmädchen-Rechnung

Die Rechnung ist deshalb denkbar einfach: Je mehr junge oder mittelalterliche Menschen an Covid-19 erkranken, desto mehr Alte und Vulnerable werden dem Virus zum Opfer fallen. Ferner ist zu erwarten, dass auch jüngere, nicht-vorbelastete Personen von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen sein werden. Es ist alles schon geschehen, und es wird sich genau gleich oder schlimmer wiederholen, allem Wunschdenken und Skeptizismus zum Trotz. Das Virus ist uns Menschen nicht aus heiterem Himmel freundlich gesinnt. Epidemiologen und Virologen stellen keine Abschwächung von SARS-CoV-2 fest. Wir laufen also gerade sehenden Auges in das offene Messer. Nur ist die Bereitschaft, noch einmal einschneidende Einschränkungen in Kauf zu nehmen in der Gesellschaft fast nicht mehr vorhanden. Das bedeutet, dass wir Mitmenschen bewusst opfern werden.

Das Mantra der Rechtfertigung

Fadenscheinige Argumente werden bemüht und gebetsmühlenartig wiederholt: Diese Menschen wären sowieso gestorben; Tod und Krankheit müssen wir als einen Bestandteil des Lebens verstehen; wenige müssen sich für das Wohl der anderen opfern; die Wirtschaft ist höher zu gewichten als das Leben weniger; Freiheit ist höher zu gewichten als das Leben weniger. Fadenscheinig sind diese Argumente, weil sie nur von jenen, die nicht direkt von Corona betroffen sind, vorgebracht werden. Diese Argumente haben wir bereits gehört, und wir werden sie wieder hören. Sie sind zu einem fatalen gesellschaftlichen Konsens geworden, der einen zweiten Lockdown grundsätzlich verunmöglicht. Unserer Landesregierung ist nicht entgangen, dass sich nicht nur Splittergruppen, sondern eine Mehrheit der Bevölkerung gegen einen zweiten Ausnahmezustand stellt. Deshalb überlässt sie es den Kantonen, der Pandemie Herr zu werden. Die Kantone aber handeln schwach und uneinheitlich, während sich das Virus einheitlicher in ländliche und städtische Regionen ausbreitet.

Laisser-Faire

Schwache Kantone, Partikularinteressen aus Wirtschaft und Gesellschaft, Corona-Müdigkeit, verschwörungstheoretischer Irrglauben und eine weit verbreitete fatalistische Einstellung gegenüber der Pandemie rollen dem Virus den roten Teppich aus. Partys werden dort gefeiert, wo es noch möglich ist, also womöglich einfach jenseits der Kantonsgrenze. Gottesdienste ohne Schutzmaske, aber mit Gesängen werden dort abgehalten, wo niemand hinschaut. Private Feste werden gefeiert, weil man sich doch das Leben weder vom Staat noch von einem Virus verbieten lässt. Hochzeiten werden gefeiert, als gäbe es keine Pandemie. Schulen und Schulklassen werden nicht quarantänisiert, weil in einigen Kantonen Kinder und Jugendliche gar nicht getestet werden. Zu allem Überfluss sind nun Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen in der Schweiz wieder erlaubt. Genau an solchen Anlässen findet gerade eine enorme Verbreitung der Krankheit statt.

Winter is coming

Erschwerend kommt auch die kältere Jahreszeit hinzu. Im Herbst und Winter arbeiten wir wieder in geheizten, stickigen, schlecht belüfteten Räumen. Erwiesenermassen hat das Virus unter solchen Bedingungen leichtes Spiel. Ansteckungen am Arbeitsplatz, in Pendlerzügen und in Bars werden sich häufen. Ferner verliert unser Immunsystem in den kalten und dunklen Jahreszeiten an Kraft. Unter diesen ungünstigen Voraussetzungen wird das Corona-Virus auch in der Schweiz durchmarschieren und unzählige Todesopfer fordern. Wie teuer dieser Durchmarsch die Wirtschaft zu stehen kommen wird, wird sich weisen. Wer jedoch glaubt, der Supergau würde die Schweiz verschonen, täuscht sich gewaltig. Alles spricht dafür, dass wir auch hier eine gewaltige zweite Welle erleben werden. Der Corona-Sonderfall Schweiz ist ein Hirngespinst weltfremder und wohlstandsverwahrloster Schweizer und Schweizerinnen.

Tu quoque, Helvetia, memento moriendum esse.




Der Angriff der Polit-Bots

Die Machenschaften der Firma «Cambrigde Analytica» belegen, dass demokratische Entscheidungsprozesse in naher Zukunft einem digitalen Grossangriff auf die Meinungsbildung ausgesetzt sein werden. Auch in der Schweiz sind bereits Firmen am Start, welche die öffentliche Meinung «ganz legal» manipulieren wollen. Die Firma «Enigma» legt in der Handelszeitung ihre Ambitionen offen auf den Tisch. Mit Bots und KI - so die vollmundigen Ankündigungen - soll die Meinung einer «empfänglichen» Schicht zu Gunsten der Kundschaft beeinflusst werden. Ein gekauftes Abstimmungs- oder Wahlresultat kann demnach herbeigeführt werden.

Die Menschen werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Die Klasse der «Empfänglichen» lässt sich unmittelbar auf die Unentschlossenen, die Uninformierten, die Wankelmütigen und die Politik-Abstinenten eingrenzen. Diese Gruppierung ist in der Schweiz prominent vertreten. Wenn es gelingen sollte, diesen Personenkreis mit auf die Persönlichkeit angepassten Botschaften zu überzeugen und für eine Seite zu mobilisieren, können knappe Abstimmungen - oder auch Wahlen - im Sinne der Kunden gewonnen werden. Diese bewegbare Masse lässt sich logischerweise emotional und weltanschaulich zu Meinungen bewegen, die sie sich nicht selber gebildet hat. Sie werden stimuliert und angeregt zur Übernahme einer Fremdmeinung und zum Entschluss, diese an der Urne kundzutun.

Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen.

Das ist der simple Business-Plan solcher Meinungsmacher. Das Werkzeug für diese Beeinflussung sind Bots, Maschinen, die sich als Menschen tarnen. Hier beginnt die Täuschung, die Vorspiegelung falscher Tatsachen, und hier beginnt die bedenkliche Manipulation der Demokratie. Sehr wahrscheinlich haben sich schon etliche «falsche Freunde» in den Kreis unserer Follower und Freunde auf Twitter, Facebook und Google+ eingeschlichen. Diese Bots lernen und warten geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen. Maschinen, die darauf trainiert sind, psychologische Muster von Social-Media-Teilnehmerinnen zu erkennen, beginnen auf Kommando, mit massgeschneiderten Botschaften auf deren Meinungbildung einzuwirken. Der Erfolg oder Misserfolg solcher mentalen Implantate lässt sich ahand von Klicks, Likes, Favs oder Retweets messen und korrigieren.

Bot face - Gesicht eines Bots
Is it a man, a machine or the bicycle repair man?

Demokratie lebt von lebendigen Debatten, dem Austausch von Argumenten zwischen Menschen. Jetzt aber beginnen Maschinen, Meinungen zu generieren und demokratische Prozesse zu unterwandern. Das ist eine gefährliche Tendenz, welcher so früh wie möglich Einhalt geboten werden muss. Vier mögliche Ansätze scheinen geeignet, der maschinellen Beeinflussung der Demokratie entgegenzuwirken.

  • Erstens: Der Gesetzgeber reguliert den Einsatz von politischen Bots. Politische Aussagen von Bots müssen als politische Werbung gekennzeichnet werden. Den Einsatz von politischen Bots ganz zu verbieten, ist die sauberste Lösung.
  • Zweitens: Die Anbieter von Social-Media-Plattformen untersagen den Einsatz von Bots. Maschinen lassen sich heute noch sehr effizient von Menschen unterscheiden.
  • Drittens: Eine Armee von Gegen-Bots führt politische Bots in die Irre. Das ist der Hacker-Ansatz à la «Seek & Destroy». Der Unterhaltungswert eines solchen Bot-Krieges wäre nicht zu unterschätzen.
  • Viertens: Die Menschen müssen Bot-Profile erkennen lernen. Diese zeichnen sich durch ein niedriges Aktivitäts-Niveau, wenig Follower und ein unpersönliches Profil ohne menschliches Profilbild aus. Thematisch treten sie eintönig, aber in der Sache entschlossen und fundiert in Erscheinung. Die Aussagen weichen nicht von menschlichen Äusserungen ab, da sie von Menschen verfasst wurden. Sollte sich der Verdacht erhärten, auf einen Bot gestossen zu sein, ist es ratsam, diesen in ein Gespräch zu verwickeln. Die Antwort wird ausbleiben oder unsinnig sein.

Auch wenn die Wirksamkeit dieser maschinellen Massenmanipulation noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, hat sie doch das Potenzial, demokratische Entscheidungen massgeblich zu verfälschen. Der Gesetzgeber sollte sich dieser Problematik so schnell wie möglich annehmen, bevor der Schaden angerichtet ist. Parteien und Gruppierungen, die sich solcher undemokratischer Methoden bedienen, sollten ferner abgestraft und an den Pranger gestellt werden. Firmen, die solche Manipulations-Methoden anbieten, müssen dahingehend reguliert werden, dass sich das Geschäftsmodell kaum mehr lohnt.

Wir stehen am Anfang einer bedenklichen Entwicklung, die jetzt noch kontrolliert werden kann. Die Bots und KIs werden sehr schnell sehr viel intelligenter. Deshalb sollten wir handeln, solange es noch nicht zu spät ist.

 

 




Netz­sper­ren — Weh­ret den Anfängen!

#tldr: Netzsperren kennt man in der Regel von totalitären Staaten, welche den Zugang zu regime-kritischen Inhalten blockieren wollen. China hat dazu eigens die «Grosse Firewall» aufgebaut, um die Bevölkerung von misliebigen Meinungen fernzuhalten. In solchen Ländern dienen Netzsperren dazu, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Die Schweiz jedoch führt jetzt mit der Revision des Geldspielgesetzes Netzsperren ein, um der Lobby der Casinos zu mehr Umsatz zu verhelfen.

Jetzt könnten wir natürlich über diesen hilflosen Versuch, das Neuland zu reglementieren, lachen, wäre da nicht die traurige Gewissheit, dass dies erst der Anfang einer wachsenden Zensur-Maschinerie darstellt.

Die Schweiz wird nun konkurrenzierende ausländische Online-Casinos auf eine schwarze Liste setzen und den Aufruf dieser Webseiten aus der Schweiz verunmöglichen. Verunmöglichen? Nein, diese Sperren lassen sich natürlich _spielend_ umgehen, indem man ein VPN, einen Proxy, den Tor-Browser oder den eigens zur Umgehung von Netzsperren gemachten Browser «Lantern» verwendet. Jetzt könnten wir natürlich über diesen hilflosen Versuch, das Neuland zu reglementieren, lachen, wäre da nicht die traurige Gewissheit, dass dies erst der Anfang einer wachsenden Zensur-Maschinerie darstellt.

Welches sind die nächsten Lobbyisten, welche die Sperrung von ausländischen Konkurrenz-Angeboten verlangen? Welchen Lobbies folgen unsere unbestechlichen Parlamentarier das nächste Mal? Die Begehrlichkeiten sind geweckt: Weitere Interessengruppen befinden sich sicherlich bereits in der Wandelhalle des Bundeshauses. Die Cryptocurrency-Regulierer werden bald aus den Löchern kriechen und die Sperrung von nicht kontrollierbaren digitalen Währungen und den dazugehörigen Webseiten verlangen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

Regulierungswut ist in der Schweiz ein Naturgesetz. Wir regulieren (noch) nicht, um Meinungen zu unterdrücken, sondern um gewissen Kreisen zu mehr Geld zu verhelfen. Die nächsten Sperr-Forderungen sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Zensur-Maschinerie wird aufgebläht. Das löst Kosten aus. Diese werden auf die Kunden abgewälzt: finanzielle Selbstkasteiung unter dem Deckmantel der Demokratie, ähnlich dem BÜPF. Nur handelt es sich bei diesen Bemühungen um Symbol-Politik und Regulierungs-Folklore, da diese Sperren mit wenigen Klicks umgegangen werden können.

Der nächste Schritt auf dem Pfad der Regulierung und Zensur wird womöglich die Forderung nach Software-Verboten sein? Hierzulande lassen Politiker keine Peinlichkeit und keine Dummheit aus. Am Ende sind wir selber schuld, dass wir Politiker wählen, welche Demokratie mit Rechtstaat verwechseln und dem Geld mehr huldigen als der Freiheit. Wenn wir selber plötzlich hinter einer «Grossen Firewall» eingesperrt sind, muss sich niemand mehr beklagen. Meinungen werden dann auch nicht mehr gefragt sein. Noch können wir dieser Tendenz in Richtung «Volksrepublik Schweiz» an der Urne Einhalt gebieten, indem wir Vertreter der Freiheit und Demokratie anstelle von Lobbyisten und Aufsichtsräten wählen.

Und natürlich ein NEIN zum Geldspielgesetz am 10. Juni 2018 einlegen!




E‑Voting — Das Ende der Demokratie?

#tldr: E-Voting birgt neben Chancen auch etliche technologische Risiken, welche die Glaubwürdigkeit von demokratischen Entscheidungen in Frage stellen könnten. Zumindest das Experiment sollte gewagt werden, weil E-Voting den Zugang zur Demokratie gerade für junge Stimmbürgerinnen erleichtert.

Gegner und Befürworter von E-Voting machen in der Schweiz gerade mobil, da die Einführung der elektronischen Stimmabgabe auf das Jahr 2019 vorgesehen ist. Während etliche europäische Länder die Lancierung von E-Voting aus Sicherheitsbedenken auf Eis gelegt haben, glaubt die Schweiz, dieser technologischen Herausforderung gewachsen zu sein. Die Technologien sind vorhanden. Nahezu alle Stimmbürger verfügen über elektronische Kommunkations-Geräte oder einem Zugang zu solchen und können diese - vielleicht auch nur unter Anleitung - bedienen. Gerade die ältere Generation ist im Bezug auf die Bedienung elektronischer Geräte nicht ganz sattelfest. Die Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe müsste für eine Übergangsphase bestehen bleiben. Zudem wäre eine pflegliche Begleitung der älteren Generation in die digitale Demokratie angezeigt.

Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

E-Voting verspricht auf den ersten Blick eine Vereinfachung und Beschleunigung der demokratischen Entscheidungsfindung. Die Administration von Wahlen und Abstimmungen, die Stimmabgabe und Stimmauszählung würde zweifellos schneller, komfortabler und kostensparender über die Bühne gehen. Ein vereinfachter Zugang zu Wahlen und Abstimmungen kann mehr Wählerinnen und Stimmbürgerinnen mobilisieren: ein Gewinn für die Demokratie. Würde dieser Effekt aber ausbleiben, wäre die viel beschworenen Politik-Verdrossenheit wohl Tatsache. Ferner ist zu hoffen, dass die Beschleunigung von demokratischen Prozessen durch E-Voting nicht zu einer Flut von Vorlagen führt, welche die Stimmbürgerinnen überrollt, überfordert und abstumpft. Insgesamt aber sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sowohl der Staat als auch die Stimmbürgerinnen von E-Voting profitieren können.

Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht.

Was spricht also gegen die Einführung von E-Voting? Gegner des E-Votings geben zu bedenken, dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse dadurch leichter manipulierbar seien. Wenn Wahlen und Abstimmungen manipuliert werden können und somit nicht mehr den Willen des Stimmvolkes abbilden, ist die Demokratie tatsächlich am Ende angelangt. Fraglich bleibt, warum wir bislang die Gewissheit hatten, dass die Demokratie mit dem System der brieflichen Stimmabgabe nicht manipuliert wurde. Diese Gewissheit beruht auf dem Vertrauen in das System. Tatsächlich dürfte es schwierig sein, das jetztige Wahl- und Stimm-Verfahren entscheidend zu verfälschen, da es auf dezentralen, von Menschen durchgeführten Checks und Gegenchecks beruht. Bei elektronischen Verfahren wiederum ist die genaue Funktionsweise vielleicht nicht einmal mehr für Experten nachvollziehbar. E-Voting setzt also voraus, dass wir jenen Experten, die das System entwickelt und überprüft haben, blind vertrauen müssen. Komplexe Software ist jedoch nie frei von Fehlern. Das Vertrauen in E-Voting-Software wackelt hier zum ersten Mal.

Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind.

Ein möglicher Angriffsvektor ist die Manipulation der Software auf den Servern oder auf den Abstimmungsgeräten (Computern, Tablets, Smartphones) der Stimmbürgerinnen. Die Gefahr eines erfolgreichen Angriffs auf die IT-Infrastruktur eines Landes ist reel, wie der aktuelle «Hack» des deutschen Bundestages unterstreicht. Auch der schweizerische Rüstungskonzern Ruag wurde schon digital unterwandert. Sollte es Angreifern gelingen, in sensibelste Bereiche der E-Voting-Infrastruktur vorzudringen, ist es um die Demokratie geschehen. Die Erfahrung zeigt, dass solche gezielten Angriffe stattfinden und vielfach den beabsichtigten Schaden herbeiführen. Zweifellos gibt es mächtige staatliche und private Gruppierungen, welche zu solchen Infiltrationen und Manipulationen in der Lage sind. Auch die Motivation für solche Angriffe ist gegeben, zumal es bei Abstimmungen wie bspw. über die Beschaffung von Kampfflugzeugen um Milliarden von Franken geht. Anderseits fliessen aber die Erkenntnisse über mögliche Angriffsvektoren in die Entwicklung der E-Voting-Software ein. Die Entwickler werden versuchen, die Software und die Hardware gegen alle denkbaren Angriffe zu härten.

Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten?

Auch wenn wir der Software vertrauen könnten, darf die Sicherheit der Hardware, der Elektronik, nicht aus den Augen verloren werden. Leider ist das Vertrauen in die Hardware erschüttert, seit bekannt wurde, dass jahrelang gravierende Sicherheitslücken in fast allen modernen Prozessoren klafften. «Meltdown» und «Spectre» wurden diese beiden Angriffsvektoren getauft. Diese Sicherheitslücken erlaubten oder erlauben noch immer das unberechtigte Auslesen von hochsensiblen Daten wie Passwörtern auf allen Betriebssystemen. Die einzig wirkliche Abhilfe für dieses Problem ist eine neue Prozessorgeneration, welche auf einer anderen Architektur beruht. Es wird wahrscheinlich noch ein Jahrzehnt vergehen, bis die letzten der anfälligen Prozessoren nicht mehr zum Einsatz kommen. Wer kann aber schon garantieren, dass neuere Prozessoren keine neuen Schwachstellen enthalten? Diese Garantie ist angesichts der zunehmenden Komplexität von Technologie nicht vorhanden.

Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden.

Auch die Endgeräte der Stimmbürgerinnen sind leider alles andere als sicher. Etliche Computer und Smartphones sind infiziert mit Trojanern und Viren. Deren Nutzerinnen haben die Kontrolle über ihre «Zombie-Geräte» verloren, ohne es überhaupt zu merken. Sollten bei einer umstrittenen Abstimmung auch nur zwei Prozent dieser Geräte manipulierte Stimmen abgeben, könnte das Abstimmungsresultat entscheidend verfälscht werden. Es ist gewiss hilfreich, das Sicherheitsbewusstsein der Geräte-Nutzerinnen fortlaufend zu schärfen, um die Stabilität der gesamten IT-Infrastruktur zu stärken. Geben wir es zu: die technologischen Voraussetzungen für E-Voting sind insgesamt nicht makellos oder sogar bedenklich. Berücksichtigen wir aber, dass die gesamte Wirtschaft, unsere Banken, unser Sozial- und Privatleben trotz all dieser Anfälligkeiten noch nicht zusammengebrochen sind, sollten wir dem Experiment «E-Voting» mit der gebotenen Vorsicht eine Chance geben. Sollte es funktionieren, kann die Demokratie damit vereinfacht und sogar neu belebt werden. Andernfalls muss bei den geringsten Anzeichen von Manipulation sofort der Stecker gezogen werden.




Das Inter­net ist kaputt. Wir brau­chen ein neu­es: Das Internext

Dieser Artikel ist auch in Englisch verfügbar.

#tldr: Dezentrale Netzwerke spriessen wie Pilze aus dem Boden. Sie haben das Potenzial, das alte, von Monopolen und Staaten beherrschte Internet zu ersetzen und den Teilnehmerinnen ihre Freiheit zurückzugeben.

Nimmt man heute den Zustand des Internets genauer unter die Lupe, kann man nur zum Schluss kommen, dass es kaputt ist, entstellt und zweckentfremdet wurde. Was einmal als ein Projekt von Akademikern, Forschern, Programmierern und Kreativen begann, wurde von wirtschaftlicher und staatlicher Seite zu einem Sumpf des Kommerzes, der Überwachung und Zensur umfunktioniert.Auf der wirtschaftlichen Seite bestimmen wenige grosse Konzerne die Geschicke des Internets. Allen bekannt dürften Google, Facebook, Microsoft, Apple und Amazon sein: übrigens alles US-Konzerne. Sie monopolisieren Daten, Datenströme, Inhalte, Werbung, sozioökonomische Personenprofile, und nicht zuletzt die technologische Weiterentwicklung, sprich die Zukunft des Internets. Leider sind die Konsumenten bequem genug, diesen Monopolisten ihre höchstpersönlichen Daten wie E-mails, Surf- und Suchverhalten und Dokumente in den Rachen zu werfen, da sie im Gegenzug von Gratis-Diensteistungen profitieren können. Diese Daten werden in Gold umgewandelt, indem sie verkauft, gehandelt, wiederverkauft, erweitert und schliesslich in Form von massgeschneiderter Werbung (targeted&tailored Ads) auf die Konsumenten zurückgeworfen werden. Ein Milliarden-Business, bei dem der Konsument nur verliert!

Die Unkosten dieser gigantischen Überwachung tragen selbstverständlich die Überwachten selber: der reine, absolute Wahnsinn!

Die staatlichen Akteure hingegen spielen «Cyberwar» und «Räuber&Police», verminen und verwanzen die freie Kommunikation und fördern mittlerweile aktiv die Schwächung der gesamten IT-Infrastruktur, indem sie durch den Einkauf von Sicherheitslücken einen Schwarzmarkt ankurbeln. Anders ausgedrückt: Staaten kaufen mit Steuergeldern Verbrecher-Software. Um Verbrecher zu jagen, werden die Dienste von Verbrechern in Anspruch genommen. Eine verquere Logik, die gewiss noch mit vielen abstrusen Politiker-Ausreden verziert wird. Ferner lassen Staaten - mittlerweile auch die Schweiz - einen flächendeckenden, unverhältnismässigen Überwachungsapparat auf die eigene Bevölkerung, die sich damit natürlich in Unkenntnis der Materie oder aus irrationaler Panik sogar einverstanden erklärt, los. Das BÜPF sorgt in der Schweiz dafür, dass ab dem 1. März 2018 sämtliche Verbindungsdaten aller Geräte und Nutzerinnenfür ein halbes Jahr gespeichert werden. Die Unkosten dieser gigantischen Überwachung tragen selbstverständlich die Überwachten selber: der reine, absolute Wahnsinn! Würde der Staat alle unsere zwischenmenschlichen Verbindungen und Kontakte in der Realität mitschneiden wollen, wären die Verantwortlichen schon lange aus den ihnen demokratisch übertragenen Positionen entfernt worden. Die Vorgänge im digitalen Raum verstehen die Menschen, welche schon mit der Bedienung ihres Smartphones überfordert sind, einfach nicht und folgen blind ein paar Wölfen im Schafspelz. So stehen wir vor der Tatsache, dass das Internet, die Grundlage unserer modernen Kommunikation, auch von staatlicher Seite komplett untergraben wurde. Beispielsweise möge jeder für sich selber beurteilen, ob die seit Jahren bestehenden, gravierenden Sicherheitslücken (Meltdown&Spectre) in modernen Prozessoren, Recheneinheiten eines jeden Computers, ein Produkt des Zufalls, der Fehlplanung oder der bewussten staatlichen Unterwanderung sind.

Die Menschen müssen die Kontrolle über ihre Kommunikation und ihre Daten zurückfordern und zurückerhalten.

Das Internet hat sich von seinem eigentlichen Zweck, der Kommunikation zwischen Menschen, entfernt, ist zu einem Selbstbedienungsladen und Handelsplatz von Personendaten verkommen. Facebook zum Beispiel, eine Plattform, die den Menschen die Möglichkeit bietet, Bilder, Interessen und Meinungen auszutauschen, verwertet und verkauft die Profile ihre Nutzerinnen an Werbe-Firmen oder sonstige Interessenten. Dem stimmen die Nutzerinnen natürlich zu, indem sie die Nutzungsbedigungen ungelesen akzeptieren. Facebook kennt ihre Teilnehmerinnen in- und auswendig, vielleicht besser als sie sich selber kennen. Ist das ein fairer Deal: Kommunikation vs. Verkauf des Personenprofils? Das ist eben die Kehrseite dieser zentralisierten und monopolisierten Kommunikationsplattformen. Die Nutzerinnen verkaufen sich eigentlich, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wer ein Android-Smartphone besitzt, sollte sich einmal auf myactivity.google.com einloggen, um festzustellen, dass Google sein ganzes digitales und reales Leben protokolliert. Welche App wurde wann aktualisiert? Wo befand sich die Nutzerin? Wonach hat sie oder er gesucht? Diese Daten sind dort auf die Sekunde festgehalten. (Notiz: Achten Sie also auf ihre Login-Daten). Davon können staatliche Überwacher eigentlich nur träumen. Jedoch hat das alles tatsächlich nichts mehr mit jenem Internet zu tun, welches Tim Berners-Lee vor 27 Jahren entworfen hatte. An diesem Punkt muss ein Strich gezogen werden. Die Menschen müssen die Kontrolle über ihre Kommunikation und ihre Daten zurückfordern und zurückerhalten. Das ist in naher Zukunft möglich, ohne zentrale Monopolisten, ohne zentrale Dienste, ohne zentrale Server, ohne totale Preisgabe seines Lebens und seiner Seele.

Das nächste Netz gibt den Menschen die Kontrolle über ihre Daten und ihre Kommunikation zurück.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich vor dieser absoluten Verfolgung und Kontrolle der Kommunikation zu schützen. Jedoch offenbaren diese Flicken am Ende nur, wie kaputt das Internet bereits ist. Deshalb ist es höchste Zeit, das Internet neu zu erfinden. Das nächste Netz gibt den Menschen die Kontrolle über ihre Daten und ihre Kommunikation zurück. Dabeit handelt es sich um keine realitätsferne Zukunftsvision, da die Technologien bereit sind, und unzählige Projekte für ein dezentrales, verteiltes und verschlüsseltes Internet in den Startlöchern stehen. Die Kerntechnologie, welche dieses Internet antreiben wird, ist die Blockchain. Dabei handelt es sich um eine verschlüsselte, nicht manipulierbare, verteilte Kette von Transaktionen oder Aktionen. Gepaart wird diese Technologie mit Bittorrent, Tor, DHT, Verschlüsselung, File-Splitting und verteilten Dateisystemen. Anbei ein kleiner Überblick über diverse Projekte, die das dezentrale Internet gestalten wollen. Darunter befindet sich übrigens auch das Solid-Projekt des «Internet-Erfinders» Tim Berners-Lee.

Verteilte Internet-Plattformen:
Beaker-Browser
Zeronet
Peergos
Substratum
Solid
Maidsafe
Blockstack

Verteilter Mobil-Messenger:
Ring

Sicherer Bittorrent-Client:
Tribler

Verteilte Handelsplattform:
Open Bazaar

Verteilte Sozial-Plattformen:
Scuttlebutt
Sphere

Verteilte Dateisysteme:
Interplanetary Filesystem (IPFS)
Dat-Projekt

Verteilter Speicherplatz:
Storij
Sia
Bitdust

Dezentralisierter Facebook-Ersatz:
Diaspora

Verteilte Rechenpower:
Golem Projekt

Die «alten» anonymen Netze:
I2P
Freenet Project (nicht zu verwechseln mit dem deutschen E-mail-Anbieter)

Eine Monetarisierung des neuen Internets kann nicht im Sinne der Nutzerinnen sein. Das findet im Moment schon zur Genüge statt.

Freilich ist nicht alles Gold, was glänzt. Viele dieser Projekte stecken noch in den Kinderschuhen. Andere derartige Projekte wiederum dienen zweifelsohne der Koppelung einer digitalen Währung an Dienstleistungen. Eine Monetarisierung des neuen Internets kann nicht im Sinne der Nutzerinnen sein. Das findet im Moment schon zur Genüge statt. Zudem müssen solche Projekte unbedingt offene Entwicklungen sein, damit die Kontrolle bei den Anwendern bleibt. Proprietäre Projekte sind nicht im Sinne eines offenen, freien Internets, weil damit eben wieder eine Zentralisierung und Monopolisierung des Internets einhergeht. Die Beurteilung, welche der obigen Projekte «Open Source» sind, sei dem Leser überlassen. Aufhorchen jedoch lässt, dass der verbreitete Browser Firefox die dezentralen Protokolle von IPFS, Dat und Secure Scuttlebutt in der Version 59 akzeptiert. Man darf deshalb gespannt sein auf zukünftige Erweiterungen, welche diese Protokolle einsetzen.

Dies stärkt den im heutigen Internet auf's Übelste aufgeweichte Daten- und Persönlichkeitsschutz.

Was sind nun jedoch die Vorteile eines dezentralen Netzes? Diese dezentralen Netze sind in erster Linie unglaublich zensur-resistent. Das wird weder demokratischen noch totalitären Staaten gefallen. Die Daten liegen eben nicht zentral auf einem Server bei einem Anbieter, sondern verschlüsselt und verteilt bei allen Teilnehmerinnen des Netzwerks. Webseiten und Dokumente werden kaum mehr zu entfernen sein, weil Hundertausende oder sogar Millionen von auf der ganzen Welt verteilten Menschen vom Netz genommen werden müssten. Daten werden eben auch redundant gespeichert, so dass der Verlust persönlicher Daten nahezu auszuschliessen ist. Ferner haben die Teilnehmerinnen eine verstärkte Kontrolle über ihre persönlichen Daten und darüber, was sie von sich preisgeben. Möglicherweise wird sogar eine Form der Anonymität oder Pseudonymität gegeben sein. Dies stärkt den im heutigen Internet auf's Übelste aufgeweichte Daten- und Persönlichkeitsschutz. Strafverfolgung wird dadurch auf jeden Fall nicht vereitelt, wie die Aushebung des Drogen- und Waffenportals «Silkroad» gezeigt hat. Solide, gezielte und althergebrachte Ermittlungsarbeit wird die unsinnige Massenüberwachung unschuldiger Bürgerinnen ersetzen müssen. Die Demokratie wird auf jeden Fall gestärkt. Für Urheber dürfte sich nicht viel ändern, da sie ja jetzt schon mit einer Flut von Urheberrechtsverletzungen konfrontiert sind. Die Verfolgung und Unterdrückung von Urheberrechtsverletzungen dürfte sich jedoch einiges schwieriger gestalten. Vielleicht führt dies zu einem Umdenken bei den Content-Anbietern, welche die Fans ihrer Produkte bislang als Feinde betrachteten.

Die gesellschaftlichen Folgen von dezentralen Netzen werden nicht unbedeutend sein und im besten Fall die eine oder andere Diktatur stürzen als auch «Demokratien auf Abwegen» stärken.




Will­kom­men im Über­wa­chungs­staat Schweiz!

Ich heisse Sie ganz herzlich im Überwachungsstaat Schweiz willkommen! Seit dem ersten März 2018 dürfen Sie sich nun ganz sicher fühlen, denn die gesamte Kommunikation aller Terroristen und Verbrecher wird nun in der Schweiz lückenlos überwacht. Ganz nebenbei wird auch Ihre gesamte Internetkommunikation aufgezeichnet und für ein halbes Jahr gespeichert. Der Staat weiss nun, dass sie dieses «aufrührerische» Blog lesen. Fühlen Sie sich nun immer noch so sicher?Aber ja doch, wer ja nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu verlieren! Denken Sie nur einmal an unsere Firmen; die haben doch nichts zu verbergen. Oder vielleicht doch? Firmengeheimnisse? Gut, der Überwachungsstaat Schweiz garantiert uns, dass er keine Inhalte durchschnüffelt. Nein, er lässt ja nur Meta- und Verbindungsdaten speichern. Kaum ist das neue BÜPF in Kraft getreten, zeigen Recherchen des Schweizer Fernsehens, dass die Provider jedoch viel mehr speichern, nämlich die gesamte Surf-History von Internetanwendern. Somit lässt sich lückenlos nachvollziehen, wer was wo wann und wie aufgerufen hat, also auch Inhalte, sofern sich diese in keinem geschützten Bereich befinden. Das betrifft die grosse Mehrheit aller Internet-Inhalte, welche heute "zum Glück" mit permanenten Adressen versehen sind, d.h., sie verschwinden nicht einfach so.

Schönheit liegt im Auge des Überwachers
I see you, I hear you, I'm interested in you.

Kaum hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gekippt, stürzt sich die Schweiz in das aussichtslose Abenteuer der flächendeckenden Überwachung. Alle Internet-Nutzerinnnen sind nun auf dem Radar der staatlichen Überwachung angekommen. Alle? Nein, Technologie-Versierte können sich dieser Überwachung mit Leichtigkeit entziehen. Diese Technologien stehen auch Otto Normalverbraucher zur Verfügung. Dazu später mehr. Die Überwachung trifft also zuallerst einmal die grosse Mehrheit der unbedarften Internet-Surfer. Die Verbindungsinformationen von Herrn oder Frau Musterbürger, die manchmal klammheimlich ihren Sex-Fantasien auf dem Internet nachgehen, sind nun nachvollziehbar gespeichert. Wer dort die dünnne Linie überschreitet, könnte schon bald Probleme bekommen. Sie fühlen sich jetzt gewiss immer noch sicher vor den bösen Terroristen, die auf dem Internet Anschläge planen, oder vor den fiesen Hacker-Verbrechern, welche die IT-Infrastruktur des Bundes angreifen. Wir haben anscheinend schon vergessen, dass es für solche Planungen gar kein Internet braucht. Tatsächlich gibt es noch - wir staunen - die Offline-Kommunikation.

Jetzt klebt ihnen der eigene Staat sprichwörtlich am Arsch.

Konsequenterweise müsste der schweizerische Total-Überwachungsstaat also sämtliche Offline-Verbindungs-Daten aller Schweizerinnen registrieren: Blocher trifft Mörgeli am Mittwoch, dem 14. März 2018, um 19:15 Uhr in der Kronenhalle in Zürich (Typ: Verbindungsdaten) - zwecks Besprechung einer Doppelkandidatur für den Bundesrat (Typ: Inhaltsdaten). Beruhigen Sie sich gleich wieder: das war nur ein fiktives Beispiel. Aber warum überwacht denn unser Staat all diese potenziell konspirativen und mutmasslich terroristischen Offline-Aktivitäten nicht mit aller Härte, wie das doch auch im Internet schon praktiziert wird? Es gibt zwei Antworten auf diese Frage. Erstens ist es nicht möglich und zweitens würde eine solche Überwachung den Schweizerinnen zu weit gehen. Im Internet ist diese Totalüberwachung jedoch technisch einfach zu realisieren. Zudem scheinen die Schweizerinnen diesen Eingriff in ihre digitale Privatsphäre hinzunehmen, obwohl sich ihre Kommunikation heute grösstenteils im Internet abspielt. Gut, die Stimmbürgerinnen haben es so - oder nicht anders - gewollt. Jetzt klebt ihnen der eigene Staat sprichwörtlich am Arsch. Ja, diese Formulierung trifft es. Immerhin betrifft diese Total-Überwachung auch die Law&Order-Fraktion, welche manchmal mehr zu verbergen hat, als wir gemeinhin annehmen. Da lohnt sich manchmal nur schon ein Blick in geleakte Datenbanken, z.B. in jene von Ashley Madison (Washington Post, engl.).

Wer halt nichts zu verbergen hat, hat halt auch nichts verlieren, oder?

"Den Luxemburger Richtern zufolge greift die Speicherung von Telekommunikationsdaten so sehr in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens ein, dass die Datenspeicherung „auf das absolut Notwendige“ beschränkt werden muss." (Zitat: faz.net)
Wieder verfalle ich und Sie in ungläubiges Staunen: Die Europäer schützen ihre Bürger besser als wir Schweizer. Wir Deppen hingegen beschneiden unsere Grundrechte freiwillig auf demokratischer Basis. Gut, das muss man als Demokrat akzeptieren. Sicher werden Sie es auch akzeptieren, wenn der grosse Bruder aus Übersee an die Türe klopft und die Herausgabe von Daten verlangt. Keine Sorge, wir werden nicht Nein sagen. Sicher werden Sie es auch akzeptieren, wenn eine Hacker-Gruppe die halbe Schweiz de-anonymisiert und ihre Verbindungsdaten offenlegt. Wer garantiert Ihnen, dass genau dies nicht geschieht? Der Überwachungsstaat Schweiz auf jeden Fall garantiert das nicht, zumal er die Daten ja bei privaten oder halb-privaten Providern erheben lässt. Fühlen Sie sich noch immer sicher vor Terroristen und Online-Verbrechern? Wer halt nichts zu verbergen hat, hat halt auch nichts verlieren, oder? Sind Sie schon ein bisschen unsicher geworden? Empfinden Sie schon ein gewisses Unbehagen dem Staat gegenüber? Gut, dann schauen wir weiter.

Wir haben unsere Freiheit einer trügerischen Sicherheit geopfert.

Unsere digitale Wirtschaft, die nun im Kanton Zug soeben zum Cryptocurrency-Eldorado werden möchte, preist gerne die Sicherheit ihrer Infrastruktur an. Damit ist nun leider Schluss, denn der Staat kann nun von jedem Anbieter von Telekommunikations-Dienstleistungen die Erhebung und Herausgabe von Verbindungsdaten verlangen. Organisationen und Firmen, welche ihre berechtigten Geheimnisse Schweizer Firmen anvertrauen möchten, werden es sich jetzt zwei Mal überlegen. Standortvorteile, ganz zu schweigen von unseren Grundrechten, haben wir also auch gleich einer zweifelhaften Sicherheit geopfert. So, jetzt sollten wir langsam an den Punkt gekommen sein, an dem wir feststellen, dass wir einen riesigen Fehler gemacht haben: Wir haben unsere Freiheit einer trügerischen Sicherheit geopfert. Ja, diese Sicherheit ist trügerisch, denn ich zeige Ihnen nun, wie Terroristen oder auch Sie als unbescholtene Bürgerin dieser Überwachung spielend und legal entgehen können. Wenn Sie Ihre Privatsphäre zurück haben wollen, lesen Sie weiter! Nein, das ist keine Anleitung zu Straftaten, nein, das ist digitale Selbstverteidigung für rechtskonforme Bürgerinnen.

  •  Surfen Sie in einem öffentlichen Netz! Easy 😉
  • Nutzen Sie den Tor-Browser. Er anonymisiert ihre IP-Adresse. Empfohlen gerade oder auch in öffentlichen Netzen.
  • Betreten Sie ganz legal das Dark Web mit I2P oder freenetproject.org. Das sind getarnte und verschlüsselte Netze auf der bestehenden Internet-Infrastruktur. Dort lässt sich ganz legal und sicher kommunizieren. Verbrechen sind dort natürlich auch möglich, aber damit wollen wir nichts zu tun haben, wie im richtigen Leben halt.
  • Für ein bisschen Fortgeschrittenere: Nutzen sie die tor-basierte Linux-Distribution Whonix in virtuellen Maschinen auf einem dedizierten Computer. Da gucken Überwacher wirklich in die Röhre. Da spielt es fast keine Rolle in welchem Netz Sie sich bewegen. Edward Snowden empfiehlt die Linux-Distribution «Tails».
  • Mieten Sie sich ein VPN bei einem vertrauenswürdigen Anbieter! Ihre Aktivitäten lassen sich nicht nachvollziehen. Anmerkung: Schweizer VPN-Anbieter müssen nun natürlich Verbindungsdaten erheben. (Ade Standortvorteil!) Wichtig: Meiden Sie den Gratis-VPN-Anbieter hola.org. Er macht Sie ungefragt zu einem Exit-Knoten, der ihre IP-Adresse mit den Handlungen anderer in Verbindung bringt.
  • Nutzen Sie das relativ neue Zeronet in Verbindung mit Tor. Die Daten sind überall und nirgends. Ziemlich kreativer Ansatz, der die Anfänge eines dezentralen Netzes ohne Server skizziert! Horror für Überwachungs-Freaks.
  • Nutzen Sie für vertrauliche Kommunikation einen sicheren verschlüsselten Messenger auf ihrem Mobilgerät. Nein, Whatsapp ist nicht sicher, Skype ist nicht sicher. Nutzen Sie: Signal, Telegram oder Threema. Bei letztem Messenger muss man jetzt leider, leider sagen: Achtung, Standort Schweiz! Etliche vielversprechende Messenger-Apps sind in Arbeit.
  • Am besten leiten Sie die ganze Kommunikation Ihres Mobilgerätes über Tor oder ein VPN Ihrer Wahl.
  • Achten Sie bei Webseiten darauf, dass die Verbindung verschlüsselt über HTTPS hergestellt wird.
  • Deaktivieren Sie Plug-Ins wie Adobe Flash. Diese Software ist unsicher und fehlerhaft. Videos können heute ohne dieses Plug-in abgespielt werden. (Der Tor-Brower schliesst solche Lücken von Vorherein aus.)
  • Zum Schluss: INFORMIEREN SIE SICH ÜBER DIE SOFTWARE, DIE SIE EINSETZEN! Vertrauen Sie weder mir noch den Anbietern von Software blind.

So, nun sind Sie einigermassen vor staatlicher Verfolgung geschützt. Merken Sie sich ferner: Sollten Geheimdienste oder Hacker gezielt auf ihre Geräte zugreifen wollen, können Sie sich dagegen nahezu nicht wehren. Gehen Sie nun trotzdem ganz anonym und entspannt Ihrer ehrlichen Arbeit nach. Noch was: Wenn Sie wissen wollen, wie Sie sich gegen die penetrante Online-Werbe-Industrie schützen können, lesen Sie meinen letzten Beitrag.

Ansonsten viel Spass im Überwachungsstaat!




Die Schweiz im geis­ti­gen Réduit — Euro­pa, Islam, Satan

Wer Europa sagt, tut sich schwer mit diesem Begriff, besonders in der Schweiz. Ob damit die EU als supranationale Institution, Europa als geographische Region oder der Schengenraum als Handels-und Rechts-Zone gemeint ist, bleibt meistens im Dunkeln. Europa ist für viele Schweizer etwas Dunkles, Böses, eigentlich der moderne Satan. Europa - so der gefühlte Bauch-Konsens - stehle uns unsere Identität, unsere Demokratie, unseren Wohlstand, unsere Jobs, unsere Berge, unsere Häuser und unsere Luft, also eigentlich alles. Damit nicht genug: Europa überflute uns zudem mit Sozialhilfe-Empfängern, die uns auf der Tasche liegen und unsere Kultur (des Abendlandes) zerstören. Da beginnt auch schon der Kulturkampf 2.0, und zwar gegen den Islam. Den ersten Kulturkampf haben wir gegen die katholische Kirche geführt, was gerne vergessen wird oder nie gelernt wurde. Als uns der Papst 1870 seine Unfehlbarkeit aufdrücken wollte, haben die Schweizer sich gegen die katholische Kirche aufgebäumt. Unfehlbar in unserer jungen Demokratie konnte schliesslich nur der Souverän sein. Wenn heute christlich-konservative Politiker die «Kultur des Abendlandes» beschwören, handelt es sich also genau um jene christlich-katholische Kultur, der wir einmal eine Abfuhr erteilt haben.

An religiösen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen Fronten stellen Schweizer ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis. Veränderungen unserer kleinen Welt sind hier ebenso wenig willkommen, wie jene, welche diese personifizieren. Eine Frau, die seit Ewigkeiten in der Schweiz wohnt und keine Kirchen- und Kuhglocken mag, wird nicht eingebürgert. Im Tessin gilt neu das Burka-Verbot. Im Baselbiet werden muslimische Schüler mit staatlichem Zwang zum Handschlag mit der Lehrerin ermuntert. Per Volksinitiative haben wir den Bau von Minaretten untersagt. Ein IS-Sympathisant soll ausgebürgert und die Schweizer Staatsbürgerschaft also an Bedingungen geknüpft werden - ein Novum. Die nächste Forderung nach Einführung der Todesstrafe wird früher oder später wieder vorgebracht. Kuscheljustiz lautet der Vorwurf an unsere Rechtsprechung (eine der härtesten in Europa). Dem Ermessenspielraum von Richtern und Behörden wird der Riegel geschoben. Das Gesetz sei nach dem Wortlaut auszulegen. Der Rechtsstaat ist zum Ägernis geworden, das sich gefälligst der Demokratie zu unterwerfen hat. Und wenn dann noch Richter, fremde Richter in Strassburg, die der Schweiz in 99 Prozent aller Fälle recht geben, wagen ein Urteil des Bundesgerichtes zu kassieren, gibt es kein Halten mehr für Kommentarschreiber in Online-Zeitungen. Der Volkszorn tobt, wann immer unser austariertes System Minderheiten vor der Herrschaft der Mehrheit schützt. Die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, wird gerade zur Schreckensherrschaft des Pöbels. Wem etwas nicht passt, soll gehen, so der Grundtenor. Das gilt für Ausländer und andersdenkende Schweizer. Brüssel einfach. Moskau einfach. Mekka einfach. Einfach weg.

Europa sagen ist das eine, doch den Begriff "EU" in den Mund zu nehmen das andere. Letzteres wird eigentlich noch schlimmer als der Islam empfunden. EU steht für Bürokraten, Normierer, Gewinnmaximierer, Undemokraten, Globalisierer, Gleichmacher, so das herrschende Bauchgefühl. Partei-übergreifend wagt fast niemand mehr einen EU-Beitritt zu befürworten. Zu sehr fürchtet man von rechts bis links die eigene Parteibasis. Für die Linken bedeutet die EU Turbo-Kapitalismus. Den will man abschaffen. Für Umweltschützer ist grenzenloses Wachstum gleichbedeutend mit dem Raubbau an der Natur. Hier verbündet man sich auch einmal mit den Rechten, da mehr Zuwanderung auch eine Belastung für die Umwelt darstellt. Die Rechten wiederum sehen in der Zuwanderung nur eine Schlechterstellung der Einheimischen. Der Sonderfall Schweiz wird beschworen. Hier soll alles anders sein, hier können nicht die gleichen Regeln gelten, z.B. für die Landwirtschaft, das vermeintliche Bollwerk unserer Unabhängigkeit. Wir subventionieren die Landwirtschaft mit Milliarden. Was wir Subventionen nennen, nennen andere Protektionismus. Das ist innovations- und handelshemmender Schutz einer Branche vor ausländischer Konkurrenz. Oft vergessen: Subventionen sind Steuergelder.

Die Schweiz leistet sich den Franken, koste es was es wolle. Seit Jahren leidet der Tourismus und die Export-Industrie unter der Frankenstärke. Die Nationalbank investiert Milliarden zur Schwächung des Frankens in Krisenzeiten. Der Franken ist ein einziges Verlustgeschäft. Doch die Schweiz nimmt alle Abstriche und Verluste hin wie ein Land, das sich im Belagerungszustand wähnt. Wir sind umzingelt von der EU, die wir übrigens brauchen und doch nicht wollen. Deshalb wird gejubelt, wenn eine völlig fehlgeleitete Volksbefragung zum Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU führt. Viele glauben, dass die Belagerung nun zu Ende ist. Endlich ist wieder ein Verbündeter in Sicht, endlich könnte die EU infolge einer Kettenreaktion zerbrechen. Das wird nicht geschehen. Im besten Falle wird sich die EU demokratischer gestalten. Im schlechtesten Falle wird sie sich gegenüber Sonderlingen wie der Schweiz verschliessen. Die Schweiz lebt weiterhin im geistigen Réduit und leistet sich das Verlustgeschäft «Alleingang» so lange wie möglich. Momentan sind die Bilateralen wegen der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiave gefährdet. Der Zugang zum europäischen Binnenmarkt, die Personenfreizügigkeit (auch Schweizer haben die), die Teilnahme an Forschungs- und Bildungsprogrammen stehen auf dem Spiel. Die Schweizer Volkspartei (SVP) wähnt sich nach dem Brexit in der Position, die Bilateralen aufzukünden. Die Schweiz hätte dann in Europa denselben Status wie Sierra Leone oder Paraguay.

Die Kündigung der Bilateralen könnte jedoch der Boomerang sein, der uns direkt in die EU führt. Die Auswirkungen eines vertragslosen Zustandes mit der EU wären für unsere Wirtschaft und unseren Arbeitsmarkt dermassen verheerend, dass sich die Schweiz sofort für einen EU-Beitritt entscheiden würde. Erst wenn der Leidensdruck wächst, kehrt hier Vernunft ein. Davon sind wir jedoch weit entfernt. Die Zeit der geistigen Erstarrung und Umnachtung erlebt gerade ihren Höhepunkt. Blindwütiger Nationalismus macht sich breit. Die Schweiz den Schweizern! Nein, die Schweiz den Eidgenossen. Den Schweizer Pass könne sich ja jeder heute erschleichen. Und eine Fussballnationalmannschaft hätte man auch nicht mehr. Man schaue sich mal die Namen der Spieler an. So tönt es landauf, landab. Das meinen diese Eidgenossen ernst. Sie kritisieren, dass die Nationalhymne nicht gesungen wird, obwohl sie diese selber nicht singen können. Dass freilich aus verfehlten Nationalismus schnell auch Rechtsextremismus werden könnte, wird unterschätzt. In ländlichen, sozial schwächeren und bildungsfernen Schichten der Gesellschaft brodelt dieser bereits seit einiger Zeit. Dieser Tendenz gilt es mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten.

Die Schweiz wird gerade von Emotionalität und Irrationalität regiert. Eine Demokratie, die so tickt, ist nicht in der Lage auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren. Wo sich sich bewegen müsste, igelt sich sich ein und verpasst den Anschluss. Probleme machen nicht halt an unseren Grenzen, mit oder ohne Stacheldraht. Die Schweiz muss teilnehmen am Projekt Europa. Sie kann beitragen zu einem demokratischeren Europa, welches für sie überlebenswichtig ist. Es führt keine Weg an Europa vorbei, früher oder später.




Red­tu­be-Mas­sen­ab­mah­nun­gen: Ein Betrugs­fall von inter­na­tio­na­lem Ausmass?

Interaktive Timeline im «Redtube»-Fall

  Vollbild-Ansicht

Timeline in eigene Webseite einbinden:

Zusammenfassung der Ereignisse

Redtube - möglicher Betrug und SkandalDie in der Schweiz registrierte Firma «The Archive AG» mahnt in Deutschland durch die Anwaltskanzlei «Urmann + Collegen» Zehntausende Deutsche mit dem Vorwurf ab, ihre Urheberrechte an mehreren auf dem Porno-Portal Redtube zum Download verfügbaren Porno-Filmen verletzt zu haben. Diese mittlerweile nicht mehr verfügbaren Porno-Filme wurden als sogenannter Daten-Stream zum Download angeboten. Das Anschauen eines solchen Streams ist nach geltender deutschen Rechtslehre keine unerlaubte Kopie, da aus technischer Notwendigkeit nur Teile des Films auf dem Computer des Betrachters zwischengespeichert werden. Umso erstaunlicher ist es, dass das Landesgericht Köln auf Antrag der Abmahnkanzlei «Urmann + Collegen» die Anschlusshaber der IP-Adressen ermitteln liess. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das Landesgericht Köln einfach nur aus beschämender Unkenntnis handelte oder aber getäuscht wurde. Von emminenter Bedeutung ist auch die Frage, wie die Schweizer Firma «The Archive AG» an die IP-Adressen der mutmasslichen Porno-Konsumenten gelangte. «The Archive AG» hat dazu angegeben, die us-amerikanische Firma itGuards Inc. mit der Erhebung der IP-Adressen beauftragt zu haben. »itGuards Inc.» habe mit einer ominösen Software namens GladII 1.1.3 die IP-Adressen der vermeintlichen Urheberrechtsverletzer ausfindig gemacht. Aus technischer Sicht ist dies absolut unglaubwürdig, da es sich bei Daten-Streams nicht um Dateien handelt, welche in Tauschbörsen öffentlich angeboten werden. Die IP-Adressen von Stream-Betrachtern können deshalb nur auf vier möglichen Wegen beschafft worden sein.

  1. Ein Mitarbeiter von Redtube oder Redtube selber hat die Daten verkauft.
  2. Eine Software kompromitiert den Server, stiehlt die Logfiles oder loggt selber mit.
  3. Eine Software kompromitiert den Computer des Stream-Konsumenten und protokolliert dessen Aktivitäten.
  4. Durch Zwischenschaltung eines IP-loggenden Servers werden die IP-Adressen der Konsumenten erfasst.

Die erste Möglichkeit ist, wie die nähere Betrachtung der Akteure zeigen wird, nahezu auszuschliessen. Die Möglichkeiten 2 und 3 wären in fast allen beteiligten Ländern strafrechtlich relevant. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Rechteinhaber auf dieses gefährliche Glatteis gewagt haben. Es gibt mittlerweile klare Indizien, dass hier die Methode 4 angewandt wurde und die IP-Adressen mit einem sogenannten Man-In-The-Middle-Angriff in Verbindung mit einer Weiterleitung abgegriffen wurden. Wie die Erhebung der IP-Adressen im Detail abgelaufen sein könnte, wird später errötert. Zuerst wird das Augenmerk auf die beteiligten Akteure gerichtet. Daraus lassen sich einige Erkenntnisse gewinnen.
Update vom 19. Dezember 2013: Die Kommentare zu diesem Artikel wollen diese Herangehensweise nicht widerspruchslos gelten lassen.
Update vom 24. Dezember 2013: Die Abmahnwelle erregt die Aufmerksamkeit des deutschen Datenschutzbeauftragten.
Update vom 24. Dezember 2013: Ausführlicher Beitrag zu den technischen Aspekten der Überwachung eines Portals.
Update vom 8. Januar 2014: Die deutsche Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass das Betrachten von Streams keine Urheberrechtsverletzung darstellt, will aber eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abwarten [Link auf heise.de]. Der Politikerin der Linken, Halina Wawzyniak, geht diese Position zu wenig weit [Link auf golem.de].

Update vom 18. Januar 2014: Lage Schweiz

  In der Schweiz sind gemäss einem Bericht des Beobachters noch keine Strafanzeigen eingegangen. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da nur Deutsche von der Abmahnwelle betroffen sind. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn ein Betroffener kurzfristig seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegen und bei den hiesigen Behörden im Kanton Zürich Anzeige erstatten würde. Die «guten» Anwälte aus Deutschland und der Schweiz könnten bei den Formalitäten behilflich sein. Auf jeden Fall ist die Abmahnwelle beim Eidgenössischen Datenschützer zur Kenntnis genommen worden. Der Fall werde geprüft, wie der findige Jounalist des Beobachters, Michael Küng, berichtet. (Anmerkung des Autors: Ich hoffe, Dir hat das Bier geschmeckt.)
Nachtrag: Den Zürcher Behörden scheint zu entgehen, dass gewerbsmässiger Betrug nach Art. 146 Abs. 2 STGB ein Offizialdelikt ist und von Amtes wegen verfolgt werden muss. Wenn die Schweizer Behörden in diesem Fall den Straftatbestand des Betruges nicht hinreichend erfüllt sehen, könnte die Lektüre dieses Dossiers den Zuständigen auf die Sprünge helfen.
Nachtrag: Auch der Schweizer Lanbote berichtet, dass sich die Schweizer Behörden nach wie vor im Winterschlaf befinden.

Die Akteure

«Redtube», USA

Redtube ist ein Portal für Porno-Filme. Auf eine Verlinkung dieses Portals wird bewusst verzichtet. Da diese Firma an den DMCA gebunden ist, scheint sie ihren Sitz in den USA zu haben. Dieses Portal ist durchaus mit Googles Youtube zu vergleichen. Redtube bietet Filme für Erwachsene an. Das Geschäftsmodell besteht darin, mit Werbung und Weiterleitungen zu kostenpflichtigen Sex-Angeboten Geld zu verdienen. Redtube hat mittlerweile versichert, dass sie keine IP-Adressen verkaufen. Diese Aussage ist durchaus glaubhaft, da Redtube daran interessiert ist, möglichst vielen Konsumenten einen vertrauenswürdigen Rahmen zu bieten. Wenn sich die Konsumenten nicht mehr sicher fühlen, werden sie dem Angebot fernbleiben. Daran ist Redtube definitiv nicht interessiert. Deshalb hat der Vizedirektor von Redtube bereits rechtliche Schritte angekündigt. Es bleibt die Möglichkeit, dass ein Mitarbeiter von Redtube, welcher sein Gehalt aufbessern wollte, die IP-Adressen verkauft hat. Auch diese Möglichkeit wird sicherlich geprüft werden müssen. Ein interessanter Fakt ist, dass Verletzungen von Urheberrechten dem Portal jederzeit mitgeteilt werden können. Dies führt zu einer Löschung des betreffenden Films. Sehr erstaunlich ist, dass die «The Archive AG» als Rechteinhaber nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat und eine viel umständlichere, aber auch lukrativere Vorgehensweise gewählt hat.
Update vom 17. Dezember 2013: Redtube ist gemäss vorherrschender Meinung nicht als offensichtlich illegale Quelle nach deutscher Rechtsprechung zu qualifizieren.
Update vom 20. Dezember 2013: Der Redtube-Vizepräsident nimmt auf Spiegel Online Stellung zu den Vorwürfen, seine Firma sei in die Weitergabe der IP-Adressen verwickelt.
Update vom 23. Dezember 2013: Redtube hat weitere Abmahnungen gegen Nutzer des Portals per Einstweiliger Verfügung stoppen lassen. Sh. dazu auch die Aktualisierungen zu «The Archive AG».

«The Archive AG» aus Bassersdorf ZH, Schweiz

«The Archive AG» ist eine in der Schweiz registrierte Firma mit Sitz in Bassersdorf, Zürich. Hier laufen die Fäden zusammen. Warum erstaunt es nicht, dass die Inhaber der Firma zwei Deutsche sind? Die Webseite gibt keinen sehr tiefen Einblick in die Geschäftstätigkeit der Firma. Es ist die Rede von der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen mittels einer modulbasierten Software. Kein Wort wird aber darüber verloren, dass sie selber Rechteinhaber sind. Im Juli 2013 erwerben sie die Verwertungsrechte an zwei oder drei Porno-Filmen. Fast eine Woche später taucht einer dieser Filme auf Redtube auf und die Zugriffszahlen schnellen überproportional in die Höhe. Das gleiche trifft auf einen anderen Film zu, der bereits auf Redtube verfügbar war. Dies wurde hier auf heise.de eindrücklich dokumentiert. Kurz darauf wird scheinbar die us-amerikanische Firma «itGuards Inc.» beauftragt, die IP-Adressen der Betrachter jener Filme ausfindig zu machen. Die «The Archive AG» erhält Zehntausende IP-Adressen (alles deutsche?) und gibt diese an die Abmahnkanzlei «Urmann + Collegen» nach Deutschland weiter mit dem Auftrag, die Anschlussinhaber der IP-Adressen gerichtlich ermitteln zu lassen und kostenpflichtig abzumahnen. Ein pikantes Detail kann man darin sehen, dass die Webseite von «The Archive AG» und jene der «itGuards Inc.» mit der selben Baustein-Software von Wix.com erstellt wurden und auf dem selben Server gehostet werden. Es darf natürlich jetzt gefragt werden, wie die beiden Firmen miteinander verbandelt sind.
Update vom 21. Dezember 2013: In einem Interview vom 18. Dezember verteidigt Ralf Reichert, Verwaltungsrat der «The Archive AG», die Methoden und die Technologie, mit denen die IP-Adressen ermittelt wurden. Er kündigt weitere «wahrheitsgemässe» Informationen an. Werden diese mehr Unterhaltung als Aufklärung bieten, wenn sie denn jemals vorgelegt werden?
Update vom 21. Dezember 2013: Redtube erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen «The Archive AG» und stoppt weitere Abmahnungen gegen Nutzer des Porno-Portals. [Link auf lawblog.de]
Update vom 23. Dezember 2013: Verwaltungsrat der «The Archive AG» R. Reichert hat wieder «wahrheitsgemässe» Informationen verlautbart [Link auf heise.de]. Wir erfahren nichts Neues zu der ominösen Software GladII 1.1.3. Die einzige mögliche Verteidigung bestünde in einer Demonstration dieser Software.
Update vom 27. Dezember 2013: Die einzigen spärlichen Informationen über den Geschäftsführer P.R.W der «The Archive AG» fanden sich auf der ziemlich alten Webseite seiner Schwester (fiadelfia.de). Diese Webseite wurde mittlerweile vom Netz genommen. Dieser Webseite liessen sich folgende Informationen entnehmen: Der Geschäftsführer hat Jahrgang 1976 und stammt aus Münster DE. Er ist Unternehmensberater und hat in den Staaten studiert (welch Zufall!). Er ist anscheinend häufig im Flugzeug unterwegs. Die Informationen zu dieser Person sind noch bei web.archive.org verfügbar.
Update vom 28. Dezember 2013: In der Verlautbarung vom 23. Dezember hat sich ein gewisser Herr Hausner für die «The Archive AG» zu Wort gemeldet. Kurios, dass eine gewisse «Hausner Productions» anscheinend die ehemalige Rechteinhaberin der besagten Porno-Filme war! Die Ordnungsmässigkeit der IP-Adressen-Ermittlung zu beweisen kann ferner nicht darin bestehen, die Software GladII 1.1.3 zu demonstrieren oder ein fragwürdiges Gutachten zu zitieren sondern den Nachweis zu erbringen, dass die IP-Adressen tatsächlich mit dieser Software «beweissicher», legal und datenschutzkonform gesammelt wurden. Dieser Nachweis würde aber immer noch nichts an der Tatsache ändern, dass Streaming aus einer offensichtlich nicht illegalen Quelle nicht als unerlaubte Kopie, sprich nicht als Urheberrechtsverletzung gilt in Deutschland.
Update vom 29. Dezember 2013: Gemäss Informationen, die Welt.de vorliegen, besitzt die «The Archive AG» die Filmrechte womöglich gar nicht. Sie wäre somit nicht Rechteinhaberin, hätte keine Aktivlegitimation und sowieso gar keinen Anspruch. Es fehlt allem Anschein nach einfach an allem: an den Filmrechten, an der Urheberrechtsverletzung(en), an der Ordnungsmässigkeit der IP-Adressen-Ermittlung. «Epic Fail»?
Update vom 7. Januar 2014: Die Webseite «http://www.the-archive.ch» ist nicht mehr erreichbar. Sie wurde anscheinend entfernt. Ein aufmerksamer Zeitgenosse hat es nicht versäumt, ein Backup der ehemaligen Webseite zu erstellen [Link zu achive.is].
Update vom 8. Januar 2014: Die Firma «The Archive AG» scheint gemäss dem Blog kowabit.de umzuziehen. Hängt dieser Umzug mit dem rechtlichen und sozialen Druck zusammen, dem die Firma momentan ausgesetzt ist?
Update vom 14. Januar 2014: Nicht nur gegen den Geschäftsführer der «The Archive AG» sondern auch gegen den Rechtsanwalt Sebastian, der beim LG Köln den Antrag zur Ermittlung der Anschlussinhaber gestellt hat, als auch gegen Fr. Jutta Schilling, welche die vermeintlichen exklusiven Verwertungsrechte an den abgemahnten Filmen beanspruchte und verkaufte, wurde beim LG Köln Strafanzeige wegen «rechtswidriger bandenmässiger Bereicherung» gestellt, wie das Blog kowabit.de berichtet. Die Rechtekette als Fundament der Abmahnwelle bricht auseinander. Die Massen-Abmahnungen werden offensichtlich zu einem gefährlichen Bumerang für die Abmahner. Da alle drei Beschuldigten ihren Wohnsitz in Deutschland zu haben scheinen, unterstehen sie deutscher Jurisdiktion und dem Zugriff der deutschen Behörden. Zum ersten Mal erscheint auch der Geschäftsführer der «The Archive AG» auf dem rechtlichen Radar. Mit welchen Manövern werden die Beschuldigten versuchen, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Feststeht, dass der Druck auf die Abmahner nach ungefähr sechs Wochen eine ungeahnte Dimension angenommen hat. Hier in der Schweiz warten wir nach wie vor gespannt darauf, wie der Eidgenössische Datenschützer (EDÖB) die Weitergabe der IP-Adressen aus der Schweiz nach Deutschland beurteilt.
Update vom 14. Januar 2014: Die Rechtekette im Überblick. Ungeklärt ist die Weitergabe der Rechte durch den Urheber «Combat Zone».

FilmverwertungsrechteGrafik by Par-Salian, CC-by-sa 3.0/de, aus: Wikipedia

Update vom 15. Januar 2014

Foto mit freundlicher Genehmigung von Michael Küng, @Graudesch
Foto mit freundlicher Genehmigung von Michael Küng, @Graudesch

  Die «The Archive AG» wird kurzerhand umstrukturiert. Der Volksmund würde sich vielleicht erdreisten zu sagen: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Der Geschäftsführer P.R.W. scheidet aus, wie das Blog kowabit.de berichtet. Der entsprechende Handelsregistereintrag wurde geändert. Er wird sich trotzdem für die Ungereimtheiten, welche sich während seiner Geschäftsführung ereignet haben, verantworten müssen. Neuer Firmensitz ist Weisslingen, ZH. Zum neuen Geschäftsführer wurde «Djengue Nounagnon Sedjro Crespin» aus Benin, Afrika, ernannt. Gewiss werden alle notwendigen Papiere wie Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsbewilligung vorhanden sein. Anfragen werden künftig wohl auf Französisch beantwortet werden. Warum nur entsteht der Eindruck, dass hier eine Marionette vorgeschoben wird? Verantwortlicher Verwaltungsrat bleibt der deutsche Staatsbürger Ralf Reichert. Verwaltungsräte haften in der Schweiz u.U. auch persönlich und unbeschränkt.
Update vom 16. Januar 2014: Welt.de berichtet darüber, dass sich die Verantwortlichen aus dem Staub machen.

Update I vom 16. Januar 2014

  Die Rechtsanwälte «Wild Beuger Solmecke» haben gegen den Geschäftsführer der «The Archive AG» Strafanzeige wegen besonders schwerem Betrug eingereicht. Diese Strafanzeige muss sich wohl gegen den mittlerweile ausgeschiedenen Geschäftsführer Philipp Raphael Wiik richten, der die Massenabmahnungen zu verantworten hat. Der neue Direktor der «The Archive AG» aus Benin dürfte vorerst nicht gemeint sein.

Update IV vom 17. Januar 2014

  Die Bonität des neuen Geschäftsführers von «The Archive AG» sieht ungefähr so übel aus wie die Beschriftung des neuen Firmensitzes, wie die Handelszeitung berichtet. Anscheinend wurde ihm kurzfristig finanziell ausgeholfen mit der Annahme des Posten des Geschäftsführers der «The Archive AG». Er ist auf jeden Fall der richtige Mann, die Firma in den Ruin und somit zur Liquidation zu führen. Ein anderes Ziel kann mit seiner Ernennung nicht verbunden sein.

Update I vom 9. Februar 2014: Interview mit Ralf Reichert

  Verwaltungsrat der «The Archive AG», Ralf Reichert, beharrt in einem Interview mit Zeit Online entgegen der einstimmigen Meinung von Experten darauf, dass die IP-ermittelnde Software «GladII 1.1.3» rechtlich und technisch einwandfrei funktioniere. Er habe aber kein technisches Verständnis. Er beruft sich ferner auf ein bislang unbekanntes Gutachten zu den rechtlichen Aspekten der IP-Ermittlung. Nach seinen Aussagen werde dies geheim bleiben. Es fällt auf, dass er selber die betreffende Software nie in Aktion gesehen hat. Zu den womöglich nicht vorhandenen Filmrechten meint er, er habe ja nur branchenüblich einen Vertrag unterzeichnet. Ein voraussehbarer Rückzug auf Branchenbräuche und Gutgläubigkeit. Er sagt aus, dass die Firma «itGuards Inc.» über eine weltweit einmalige Technologie verfüge. Dass sich genau diese Firma seit Erstellung des Gutachtens im Untergrund und hinter Briefkästen versteckt, will dieser Aussage widersprechen. Denn mit dieser Technologie könnte «itGuards Inc.» sogar die NSA in den Schatten stellen.

«itGuards Inc.» aus San Jose CA, USA

«itGuards Inc.» ist die us-amerikanische Firma, welche die IP-Adressen der vermeintlichen Urheberrechtsverletzer ermittelt haben soll mittels der geheimnisumwitterten Software GladII 1.1.3. Wir statten der Firma in San Jose mittels den Karten von Google einen Besuch ab. Die Adresse lautet «97 South Second Street #156 San Jose, Silicon Valley, CA 95113 United States of America». Google ist der Meinung, dass, diese Adresse in der Mitte einer Kreuzung liegt. Wenn man hineinzoomt und mit Google Street View weiter fahndet, findet man... rein gar nichts. Es gibt an der Kreuzung eine Hausnummer 96, dahinter liegt ein Parking, dort ein Park, dort eine Kirche. Aber nirgends ist die Hausnummer 97 N 2nd St #156 zu finden. Die Hausnummer 96 scheint komplett von einer Innenarchitektur Firma belegt zu sein. Nicht einmal ein Briefkasten ist zu sehen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Firma «itGuards Inc.» nicht nur keine Firma ist sondern überhaupt nicht existiert. Auch das Handelsregister des Staates Kalifornien will keine solche Firma kennen. Wurden die IP-Adressen also von einer Firma ermittelt, welche gar nicht existiert? Es ist auf jeden Fall sehr wahrscheinlich, dass die IP-Adressen andersweitig ermittelt wurden. Da fällt auch plötzlich noch auf, dass die Schwester eines der Inhaber der «The Archive AG» auf ihrer persönlichen Webseite ihren Bruder erwähnt, der in den USA studiert haben soll. Hat er vielleicht in San Jose studiert? Die Universität läge nur ein paar Häuserblocks von der inexistenten Adresse in San Jose entfernt. Vielleicht ist die «itGuards Inc.» aber auch nur sehr geheim und im Untergrund tätig. In dieser Sache könnten sich das FBI und die NSA einmal nützlich machen.
Update vom 17. Dezember 2013: Hinweise deuten darauf hin, dass es sich bei der «itGuards Inc.» um eine Briefkasten-Firma handelt. Es ist nicht möglich, eine verantwortliche Ansprechperson ausfindig zu machen. Die Spur verläuft im Sand. «itGuards Inc.» möchte nicht gefunden werden. Darf vermutet werden, dass hier eine Schein-Firma vorgeschoben wurde, um eine illegale IP-Adressen-Erhebung in der Schweiz zu vertuschen? Gemäss dem «Logistep»-Urteil dürfen in der Schweiz keine IP-Adressen mehr erhoben werden.
Zitat von Schnuffeltier aus dem heise-Forum: "Der Registrar der Firma ist eine Business Filings Incorporated, 108 West 13th St, Wilmington, DE 19801. Diese scheint in Delaware wie ein registriertes Office bei einer englischen Ltd. zu fungieren. Ist also weder Firmensitz, noch Büro der eigentlichen Firma."
Update vom 19. Dezember 2013: Es wird noch komplizierter. Google zeigte eine falsche Stelle. Ein aufmerksamer Leser hat den richtigen Standort der Firma «itGuards Inc.» lokalisiert. Der richtige Standort des Briefkastens ist an der 2nd South 97 in San Jose. Eine Firma Nextspace ist dort einquartiert. Im Mitgliederverzeichnis erscheint ein gewisser Andreas Roschu. Zufall, dass dieser Herr der Gutachter der ominösen Software GladII 1.1.3 ist?
Update vom 19. Dezember 2013: Die Spur führte nach Wilmington, Delaware. Dort kommen auf 800'000 Einwohner 900'000 Firmen, die dort nur Briefkästen betreiben. Diese Dokumentation bei Youtube veranschaulicht dies ab Filmspielzeit 20:40. Der eigentliche Firmensitz ist also eine Briefkastenkastenfirma des Briefkastens in San Jose. Verantwortliche Personen sind weit und breit keine auszumachen. Muss man in den USA studiert haben, um solche Verschleierungs-Konstrukte zu erschaffen?
Update vom 27. Dezember 2013: Die Firma «itGuards Inc.» wurde am 21. März 2013 in Delaware gegründet (File Number: 5309169). Bereits am 22. März 2013 beglaubigte die Müncher Kanzlei «Diehl & Partner» ein Gutachten für die Software GladII 1.1.3, welche scheinbar von «itGuards Inc.» programmiert worden sein soll [Link zu T-online.de]. Ein Gutachten für ein Software-Produkt einer us-amerikanischen Firma, welches nur einen Tag nach der Gründung dieser Firma in Deutschland vorliegt, ist äusserst bemerkenswert. Es scheinen sowohl die Gründung der US-Briefkastenfirma, das Auftauchen der ominösen Software als auch das Gutachten nur hinsichtlich der Massenabmahnungen in Deutschland inszeniert worden zu sein. Gutachter ist übrigens jener Andreas Roschu, der am Standort des Briefkastens in San Jose im Mitgliederverzeichnis der Firma Nextspace erscheint. Mitgliedschaft bedeutet, dass ein Kunde kostenpflichtige Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Ein Briefkasten bei Nextspace in San Jose ist ab $49.00 pro Monat zu haben. Nextspace empfängt die Briefe und hat die Berechtigung, Pakete entgegenzunehmen. Der Kunde, auch Mitglied genannt, muss dort niemals anwesend sein. Es ist offensichtlich, wen die deutschen Ermittler anpeilen müssen.

Update II vom 16. Januar 2014

  Auch die Webseite der Firma «itGuards Inc.» hat sich in Luft aufgelöst. Webseiten und Firmen scheinen im Moment wie Fliegen wegzusterben. Die Firma mit der Wunderwaffe «GladII 1.1.3», die nie gefunden werden wollte, ist endgültig vom Erdboden verschwunden. Natürlich existiert auch von dieser Webseite eine Sicherung auf archive.is. Das Internet vergisst so schnell nicht.

Update III vom 16. Januar 2014

  Am 1. März 2014 muss die «itGuards Inc.» zum ersten Mal seit ihrer Gründung im März 2013 ihren jährlichen Bericht (annual report) in Delaware einreichen. Für eine Gebühr kann dann der Jahresbericht der «itGuards Inc.» inklusive Namen der Verantwortlichen von jedermann aus aller Welt erworben werden. Fusionen oder Firmenauflösungen sind erst nach Einreichen des Jahresberichtes möglich. Die Namen der Schattenmänner von «itGuards Inc.» werden spätestens im März bekannt. Ihre Zeit läuft ab. Dies ist vor allem hinsichtlich der jetzt eingegangenen Strafanzeige der Rechtsanwälte «Wild Beuger Solmecke» gegen «itGuards Inc.» relevant.
Nachtrag: Es liegt nun auf der Hand, warum die «itGuards Inc.» erst im März 2013 gegründet wurde. Hätten die Hintermänner die Gründung nach Erstellung des Gutachtens im Dezember 2012 oder im Januar 2013 vollzogen, hätten sie schon im März 2013 ihre Identität im Jahresbericht, zu dem sie der Staat Delaware verpflichtet, preisgeben müssen. Mit der Gründung nach dem Stichtag des 1. Märzes 2013 haben sie sich Zeit bis zum 1. März 2014 verschafft. Dieser Tag kommt jedoch unausweichlich. Es ist absehbar, dass die «itGuards Inc.» nie einen Jahresbericht einreichen wird. Dies führt dann hoffentlich zur Veröffentlichung der Namen der Verantwortlichen von Gesetzes wegen. In den Vereinigten Staaten ist zwar viel möglich, aber auch dort gilt das Öffentlichkeitsprinzip im Firmenrecht.

Update I vom 17. Januar 2014: Das Gutachten

  Das Gutachten zur Software GladII 1.1.3 wurde veröffentlicht. Eine seriöse Bewertung wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Es fällt auf, dass im dritten Jahrtausend noch mit Schreibmaschine gearbeitet wird. Es passt zu all den Kuriositäten, dass jemand, der ein Software-Produkt analysiert, die Analyse auf einer Schreibmaschine verfasst.

Update III vom 17. Januar 2014: Kurzanalyse

  Das Gutachten stammt von einem Physiker.
Stutzig macht, dass der Auftraggeber drei für die Analyse geeignete Porno-Clips bestimmt hat, obwohl die Software «GladII 1.1.3» Medienhoster global überwachen können soll.
Ferner scheint der Gutachter den Unterschied zwischen Streaming und Download nicht zu kennen, wie das in den Punkten 5.2, 7.1, 7.2 zum Ausdruck kommt.
In Punkt 7.2 wird beschrieben, dass Medienhoster anscheinend global überwacht werden. Warum wurden dann nur die drei vom Auftraggeber benannten Filme getestet? Der Gutachter hätte so kritisch sein dürfen, andere Filme auf diesen Medienhostern zu testen.
Die Test-Umgebung wurde nicht verändert. Man muss davon ausgehen, dass Fremd-Cookies, Tracking-Cookies und Werbung zu keinem Zeitpunkt geblockt wurden.
Im Punkt 7.3 wird das Interface beschrieben. Es wird jedoch nicht erklärt, wie der Gutachter unter der Fülle von IP-Adressen seine eigene ausfindig machen konnte. Es ist unwahrscheinlich, dass nur der Gutachter diese Filme aufgerufen hat. Tausende von IP-Adressen hätten dort erfasst sein müssen. Es scheinen jedoch nur jene zwei IP-Adressen des Gutachters aufgelistet worden zu sein. Liegt hier des Pudels Kern begraben?
Die drei getesteten Filme sind heute noch verfügbar. Weit und breit sind jedoch keine «Thumbnails» zu sehen, wie dies in Punkt 6.4.2 beschrieben wird. Auf welche Miniatur-Vorschaubilder bezieht sich der Gutachter? Hatte er etwas ganz Anderes als das, was wir heute sehen, zu Gesicht bekommen?
Verblüffend ist auch, dass die Software nicht nur das Starten und Stoppen des Datenstreams sondern auch den Aufruf der Hauptseite protokollieren konnte. Was mit «Hauptseite» gemeint ist, steht in den Sternen. Ist damit die Webseite, die den jeweiligen Film enthält, oder die Start- oder Übersichtsseite des Medienhosters gemeint?
Bei zwei Filmen tauchen die Tracker von «Adult Webmaster Empire» auf. «Adult Webmaster Empire» ermöglicht eine Video-Kontaktaufnahme mit Damen. Bei allen dreien trackt Google Analytics. War auch bei «xvideos.com» im Jahre 2012 der Tracker und der Webservice von «Adult Webmaster Empire» implementiert?
Bei einer Virenprüfung eines der Porno-Filme konnten keine Viren oder sonstige Ungewöhnlichkeiten festgestellt werden.
Die Tests zum Gutachten wurden am 11. und 21. Dezember 2012 durchgeführt. Die Firma «itGuards Inc.» wurde aber erst drei Monate später am 21. März 2013 gegründet.
Schliesslich stellt sich die Frage, warum keine Screenshots angefertigt wurden. Aber vielleicht ist das zuviel verlangt von jemandem, der ein Gutachten auf einer Schreibmaschine verfasst.
Ansonsten scheint das Gutachten schlüssig. Es bleibt uns aber natürlich die Antwort schuldig, wie die Software «GladII 1.1.3» die IP-Adressen der Streaming-Nutzer «beweissicher», legal und datenschutzkonform sammeln konnte.
Nachtrag: Im Dezember 2012 war Adobes Flash Player ein gewaltiges Sicherheitsrisiko [Link auf golem.de].
Nachtrag: Natürlich hat sich auch «Hacker» und «Reverend» Klemens Kowalski vertieft mit dem Gutachten beschäftigt. Fazit: Es ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Zu dieser Einschätzung gelangt auch ein einschlägiger Artikel auf heise online.

Update vom 19. Januar 2014: Nachtrag zur Kurzanalyse

  Der wirkliche Schwachsinn beginnt im Testverfahren unter Punkt 6.4. Der Gutachter sagt aus, dass die Websites der Medienhoster angesurft wurden. Dort sei er dann erstmals auf «Thumbnails» gestossen. Er hat also nach Adam Riese die Startseiten der Medienhoster aufgerufen, also in diesem Falle drtuber.com, tnaflix.com und xvideos.com. Dort sei er auf die vom Auftraggeber «itGuards Inc.» bestimmten, durch «Vorschaubilder» repräsentierten Porno-Clips gestossen. Wer diese Webseiten besucht, wird schnell realisieren, dass die Startseiten dynamisch gerendert werden, und die auf die Porno-Filme verlinkenden Vorschaubilder stündlich oder täglich ändern. Wie will unser über jedes Mass hinaus befähigter Gutachter auf allen drei dynamisch gerenderten Startseiten ausgerechnet jene drei Porno-Filme sofort gesichtet haben? Es ist zufällig, was dort gerade dargestellt wird. Der gesunde Menschenverstand warnt uns sofort, dass die bezeichneten Filme unter Tausenden anderen dort niemals gleichzeitig auf der Medienhoster-Startseite als Vorschaubilder repräsentiert werden können. Die Möglichkeit, dass die Auftraggeber alle drei benannten Filme auf allen drei Webseiten zum exakt gleichen Zeitpunkt irgendwie auf der Startseite erscheinen liessen, ist nicht ganz ausszuschliessen. Dieses Kunststück ist auf jeden Fall nicht erklärt. Sie hätten dann die bezeichneten Filme während des gesamten Test-Zeitraums von 10 Tagen auch dort forcieren müssen. Auch wenn diese verschwindend kleine Möglichkeit besteht, wäre immer noch nicht geklärt, wie der Gutatcher die benannten Filme identifiziert hat. Er kannte ja gemäss eigenen Angaben nur die URLs der Filme. Warum er diese URLs nicht direkt aufgerufen hat und den beschwerlichen Umweg über «Thumbnails» genommen hat, erläutert er nicht. Dann behauptet der Gutachter in Punkt 6.4.2, dass die Filme durch Anklicken der «Thumbnails» gestartet werden. Das kann überhaupt nicht nachvollzogen werden. Zuerst wird der Besucher nämlich auf eine den Porno-Clip beinhaltende Seite geführt (sh. die drei URLs). Erst dort kann der Flash-Film gestartet werden. Entweder stellt der Gutachter hier irgendwelche Übersprungs-Beobachtungen an, oder er schildert etwas, das sich auch im Dezember 2012 so unter keinen Umständen ereignet haben kann. Alle drei Medienhoster funktionieren vollkommen identisch. Was in Punkt 6.4 geschildert wird, ist absolut hanebüchener Schwachsinn. Die Glaubwürdigkeit des Gutachtens dürfte damit sogar in den Minusbereich abrutschen.

Update I vom 22. Januar 2014: Stellungnahme von «Diehl & Partner»

  «Diehl & Partner» äussern sich zur Kritik am Gutachten. Sie rechtfertigen sich, dass man lediglich nachvollzogen habe, wozu man vom nicht genannten Auftraggeber beauftragt worden sei. Die Abmahnwelle habe man nicht zu verantworten. In diesem Geflecht von verteilten Verantwortlickeiten werden sich alle Parteien in dieses Refugium zurückziehen. Ob es dem Ansehen eines Wissenschaftlers zuträglich ist, ein so dünnes und unkritisches Gutachten zu verfassen, ist eine andere Frage.

Update II vom 22. Januar 2014: Kommentar von SemperVideo


Quelle: Youtube / SemperVideo

Update vom 23. Januar 2013: Szenario zu «GladII 1.1.3»

»GladII 1.1.3» muss eine Software sein, die intensiv entwickelt wird. Das suggeriert zumindest die Versionsnummer «1.1.3». Im Dezember 2012 begutachtete «Diehl & Partner», dass die Software irgendwie IP-Adressen von Streaming-Konsumenten zeitgenau erfassen könne (inkl. Starten und Stoppen des Datenstreams.) Im August 2013 versicherte jemand eidesstattlich, dass «GladII 1.1.3» diese Funktionaliät tatsächlich erbringt. Acht Monate lang stand also die Entwicklung dieser Wundersoftware still, denn sie steht auch im August 2013 immer noch bei derselben Versionsnummer. Acht Monate lang wurde «GladII 1.1.3» nicht mehr entwickelt. Das ist äusserst ungewöhnlich für ein Software-Produkt, welches es aus dem Nichts die Versionsnummer 1.1.3 erreicht hatte. Entweder hat die Software apotheotische Perfektion erreicht oder sie ist schlichtweg nicht mehr brauchbar. Deshalb wurde womöglich die Entwicklung eingestellt. Natürlich könnte auch sein, dass man einem Etwas einfach eine Versionsnummer, welche eine fortgeschrittene und stabile Entwicklungsstufe suggeriert, gegeben hat. Das tönt so wichtig wie die Bezeichnung der ominösen Hersteller-Firma aus dem innovativen und bahnbrechenden Silicon Valley. Es handelt sich um eine Briefkastenfirma aus Deutschland...
Am wahrscheinlichsten ist dieses Szenario: Im Jahre 2012 fand jemand heraus, dass es möglich ist, mit Flash und LSOs (local shared object) irgendetwas zu tricksen. Vielleicht konnte mittels auf der Webseite geschalteter Werbung auf die local gespeicherten Informationen, welche der Video-Player auf der Festplatte hinterlegt hat, zugegriffen werden. Vielleicht begünstigte auch eine Sicherheitslücke im Flash Player das Erstellen und Abgreifen dieser Informationen. Im Dezember 2012 ermöglichten Sicherheitslücken in Adobes Flash Player sogar die feindliche Übernahme entfernter Computer, wie dies bei golem.de nachgelesen werden kann. Am 11. und 21. Dezember 2012 wurde das Gutachten erstellt. Die Software konnte unter ganz bestimmten Umständen tatsächlich die angepriesene Funktionaliät erbringen. Um eine funktionierende Cross-Site-Scripting-Attacke mittels geschalteter Werbung durchzuführen, wäre die absolute Kontrolle über die beim jeweiligen Film geschaltete Werbung eine unabdingbare Voraussetzung für die Funktionalität der Software gewesen. Das hat vielleicht geklappt bei einigen Filmen, welche ganz spezifische Eigenschaften aufwiesen, z.B. dass keine anderen Werbenden dort Werbung schalten wollten. Damit wären wir indirekt wieder bei den Ladenhütern angelangt. Hätten also andere beim betreffenden Film Werbung geschaltet, wäre «GladII 1.1.3» erblindet. Es wäre absolut unmöglich zu beweisen, dass die GladIIisten die absolute Kontrolle über die geschaltete Werbung haben. Die Funktionalität basierte somit auf nur unzureichend zu kontrollierenden Faktoren, und die Ergebnisse wären somit ein pures Zufallsprodukt. Es fehlt schon an der Kontrolle darüber, welche Werbenetzwerke von den Portalbetreibern eingebunden oder auch wieder entfernt werden. «GladII» wäre auch nicht in der Lage, Besucher, welche Werbung blockieren, zu erkennen. «GladII» steht auf zwei sehr wackligen Beinen.
Dass die Software einer tieferen Prüfung nicht standhalten würde, war den Entwicklern absolut bewusst. Das Gutachten, welche sie im Dezember 2012 anfertigen liessen, bestätigte dann auch nur, dass dieser Trick unter ganz spezifischen Voraussetzungen funktionierte. Hätte der Tester Werbung blockiert, wäre das Ergebnis höchstwahrscheinlich negativ ausgefallen. «GladII» ist ein Trick, die den Namen Software nicht verdient.
Fehlerhafte Software wird irgendwann gepacht, vor allem wenn es sich dabei um Adobes Flash Player handelt. Ein Patch für den Flash Player könnte bereits im Januar 2013 «GladII» auf den digitalen Schrottplatz geschickt haben. Die Entwickler von «GladII», welche kurz vor der Erlangung der Weltherrschaft standen, wurden kurz vor der Ziellinie schockgefroren. Die Wunderwaffe funktionierte nicht mehr, die Entwicklung stoppte, die Versionsnummer blieb die gleiche, «GladII» war Alteisen. Aber sie hatten ja immerhin noch das Gutachten, welche die einwandfreie Funktionstauglichkeit der Software bestätigte. Jetzt mussten nur noch irgendwie IP-Adressen beschafft werden. “Wir sagen dann einfach, das war GladII 1.1.3.“ Also zogen die Genies von «itGuards Inc.» irgendein Umleitungskonstrukt hoch. Sie leiteten die ahnungslosen Internetnutzer einfach über eine IP-erfassende Webseite (vermutlich retdube.net oder movefile.net) automatisch auf die betreffenden Filme weiter. Voilà, man hatte die IP-Adressen. Jetzt konnte die Abmahnwelle beginnen. Der Rubel würde rollen. Auf den Abmahnschreiben, welche die Betroffenen erhielten, wird der abgemahnte Film und die Aufrufzeit erwähnt. Warum aber stehen denn dort nicht alle Informationen, welche die Wunderwaffe «GladII 1.1.3» hätte «beweissicher» erfassen können, nämlich Aufruf der Webseite, Starten und Stoppen des Films, Verlassen der Webseite? Das LG Köln sollte von den Abmahnern verlangen, dass diese Informationen nachgereicht werden. «GladII 1.1.3» soll ja gemäss einem Gutachten in der Lage sein, diese Informationen zeitgenau und «beweissicher» zu erfassen. Also her damit!
Nachtrag: «Diehl & Partner» konnten auf Nachfrage des c't-Magazins den Einsatz von Werbebannern nicht feststellen. Diese Aussage ist so schwammig wie das ganze Gutachten. Sie müssen nur die Frage beantworten, ob auf diesen Filmportalen Werbung eingeblendet wurde. Dies ist in der Regel der Fall. Andernfalls haben sie nicht Filme auf diesen Portalen sondern auf einer ganz anderen Webseite aufgerufen und etwas von der Aufgabestellung Abweichendes begutachtet. Wenn sie einen Adblocker benutzt haben, wäre das auf jeden Fall eine Erwähnung wert gewesen. Aber auch dazu fehlen trifftige Angaben. Der Gutachter sollte endlich einmal Klartext reden und solche offensichtlichen Unschärfen vermeiden.

Update vom 27. Januar 2014: Nachbau von «GladII 1.1.3»

Nun hat ein cleverer Entwickler die Software «GladII 1.1.3» aufgrund des Gutachtens der Kanzlei «Diehl & Partner» rekonstruiert. Dieser Nachbau erklärt die nicht nachvollziehbaren und widersprüchlichen Aussagen des Gutachtens. Demnach wurde eine eigene Phishingseite erstellt, auf der die Streaming-Videos von Filmportalen in einen eigenen HTML5-Videoplayer eingebunden (embed) wurden. Die ahnungslosen Opfer wurden auf dieses Honeypot-Filmportal geleitet, wo angeklickte Streaming-Videos automatisch gestartet und die Aktionen der «Opfer» protokolliert wurden. Diese Honeypot-Seite war wahrscheinlich mit einem dem entsprechenden Filmportal zum Verwechseln ähnlichen Layout und einer Vertipperdomain (z.B retdube.net) getarnt. Dort konnten die Aktionen und IP-Adressen der unfreiwilligen Besucher problemlos aufgezeichnet werden. Die rechtlichen Implikationen dieser Aufzeichnungen wären gravierend. Die IP-loggende Firma hätte die Filme nicht nur selber angeboten, was die Urheberrechtsverletzung neben rechtlichen Überlegungen sowieso auschliessen würde, sondern sie hätten die IP-Adressen auch mittels einer Täuschung erfasst. Bei den vermeintlichen Urheberrechtsverletzern entfällt der Vorsatz gänzlich. Der Tatbestand des Betrugs rückt weiter in den Bereich des Wahrscheinlichen. Dieser «GladII»-Klon liefert eine Erklärung für alle Ungereimtheien und Unschärfen des Gutachtens und erklärt, was der Gutachter tatsächlich gesehen hat. Er war nie auf den «überwachten» Filmportalen sondern auf Phishingseiten. Dort war keine Werbung geschaltet, und die Anordnung der «Thumbnails» war im Gegensatz zu den echten Filmportalen statisch. Denn nur auf einer statischen Übersichts- oder Startseite war eine eindeutige Identifikation der bezeichnten Filme möglich. Eine dringend notwendige Stellungnahme des Gutachters steht aus. Aus technischer Sicht erhärtet sich der Anfangsverdacht des sogenannten «Man in the Middle»-Angriffs. Rechtlich dürfte diese Art der IP-Adressen-Erfassung in europäischen Ländern als illegal qualifiziert werden. Kein Wunder, versteckt sich «itGuards Inc.» in den Vereinigten Staaten. Journalisten und Anwälte von Abgemahnten können einen Zugang zur funktionstüchtigen Nachbau-Software beantragen.
(Anmerkung: Video im Vollbild-Modus anschauen)
[Link auf youtube mit Erklärungen des Entwicklers]
Quelle: Youtube / Martin Eisengardt

Die deutsche Anwaltskanzlei «Urmann + Collegen»

Die Anwaltskanzlei «Urmann + Collegen», verdient ihr Geld mit massenhaften kostenpflichtigen Abmahnungen. «The Archive AG» beauftragte die Abmahnkanzlei, die Anschlussinhaber der IP-Adressen ausfindig zu machen und kostenpflichtig abzumahnen. Ohne gerichtliche Klärung und Beweise werden dabei Abgemahnte aufgefordert, eine Unterlassungerklärung zu unterschreiben und einen Unkostenbeitrag an die abmahnende Kanzlei zu zahlen. Dieser wurde im vorliegenden Fall auf 250 € angesetzt. Selbstverständlich fliesst ein Teil der Abmahngelder zurück an die Auftrag erteilende Firma, in diesem Fall an «The Archive AG». Bei Zehntausenden Betroffenen liegt es nahe, dass es hier um sehr viel Geld geht, auch wenn nur ein Bruchteil der Abgemahnten tatsächlich bezahlt. An dieser Stelle wird nicht weiter darauf eingegangen, dass die Abmahnindustrie ein Kreuz des deutschen Rechtssystems ist. Wie aber liessen die Abmahnanwälte von «Urmann + Collegen» entgegen der geltenden deutschen Rechtslehre die Anschlussinhaber der IP-Adressen ermitteln? Sie haben in ihrem Antrag zur Ermittlung der Anschlussinhaber ganz einfach nicht erwähnt, dass es sich um Streams handelt. Sie haben von Download-Portalen gesprochen. Dies ist geeignet, bei deutschen Gerichten den Eindruck von illegalen Vervielfältigungen zu erwecken. Haben die Abmahnanwälte das Landesgericht Köln bewusst in die Irre geführt? Es ist auf jeden Fall nicht davon auszugehen, dass auf Urheberrechts-Abmahnungen spezialisierte Anwälte fahrlässig solche groben Fehler machen. Das Vorgehen der Anwälte wird sicher Gegenstand von Ermittlungen werden. Niemand wird trauern, wenn sie dadurch finanziellen und persönlichen Schaden erleiden würden.
Update vom 17. Dezember 2013: Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt bereits [Link auf golem.de].
Update vom 19. Dezember 2013: Die Anträge zur Ermittlung der Anschlussinhaber der IP-Adressen wurden ursprünglich von Rechtsanwalt Sebastian eingereicht, der sich dann an «Urmann + Collegen» wandte, weil er sich scheinbar mit der ungeheuren Anzahl von Abmahnungen überfordert sah. Antragsteller und Abmahnanwälte sind somit nicht identisch. Die Abmahnanwälte können sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie mit den dubiosen Anträgen nichts zu tun haben. Rechtsanwalt Sebabstian hat seinerseits nichts mit den Abmahnungen zu tun. Ein Winkelzug?
Update vom 21. Dezember 2013: In einem Interview mit der Zeit vom 17. Dezember bezeichnet Rechtsanwalt Urmann die Abmahnungen als Experiment. Meint er ein Experiment mit Zehntausenden von Deutschen, den deutschen Gerichten und dem Rechtstaat?
Update vom 21. Dezember 2013: Mittlerweile sind diverse Strafanzeigen eingegangen, wie ITespresso.de berichtet.
Update vom 23. Dezember 2013: Gemäss dem deutschen Strafrechtsexperten Ulf Buermeyer befindet sich das Vorgehen der Kanzlei «Urmann + Collegen» als auch deren Auftraggeber «The Archive AG» im Bereich des Straftatbestandes des Betruges [Link auf heise.de].
Update vom 4. Januar 2014: In der Zwischenzeit hat die Staatsanwaltschaft Hamburg ein Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der «Urmann + Collegen» eingeleitet.
Update vom 7. Januar 2014: Rechtsanwalt Carl C. Müller, der Strafanzeige gegen «Urmann + Collegen» gestellt hat, äussert sich ausführlich in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Update vom 10. Januar 2014: Auch «Urmann + Collegen» scheinen es mit dem Firmensitz nicht so genau zu nehmen oder ziehen, wie es im Trend liegt, gerade mal um [Link auf focus.de].
Update vom 13. Januar 2014: Geschäftsführer Urmann zündet in einem Interview noch ein paar Nebelkerzen und ein Strohfeuer [Link auf zeit.de].

Update IV vom 16. Januar 2014

  Die Rechtsanwälte «Wild Beuger Solmecke» haben nicht nur gegen den Geschäftsführer der «The Archive AG» und die Schattenmänner von «itGuards Inc.» sondern auch gegen den Geschäftsführer von «Urmann + Collegen» Strafanzeige, in diesem Fall wegen Nötigung, eingereicht.

Update II vom 17. Januar 2014

  Nun ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Regensburg gegen «Urmann + Collegen» wegen Betruges. Gemäss dem Geschäftsführer Urmann hat sich die Situation bei seinem Auftraggeber «The Archive AG» nicht verändert. Das obige Bild des neuen Briefkastens der «The Archive AG» sollte ihn jedoch eines Besseren belehren.

Update II vom 9. Februar 2014: Interview mit Daniel Sebastian

  Der antragstellende Rechtsanwalt Sebastian äussert sich in einem Interview mit Zeit Online. Er versucht Redtube.com zu einer offensichtlich illegalen Quelle umzumünzen. Er bezieht sich dabei auf altersschutzrechtliche und inhaltliche, nicht aber auf urheberrechtliche Aspekte. Das war ein schwacher Versuch. Schliesslich verhöhnt er die Abmahnopfer. Es handle sich um Menschen, "die bewusst Urheberrechte verletzt haben, um Geld zu sparen." Die Abmahnopfer haben auf einer nicht offensichlich illegalen Quelle irgend etwas geklickt. Soviel weiss man heute. Diesen Menschen eine bewusste Urheberrechtsverletzung aus niedrigen Motiven zu unterstellen, ist blanker Zynismus.

Das Landesgericht Köln

Alle fragen sich, welcher Teufel das Landesgericht Köln geritten hat, als es dem Antrag obiger Anwaltskanzlei zur Ermittlung der Anschlussinhaber der IP-Adressen stattgab. Gewiss enthielt der Antrag unklare Formulierungen. Es war von einem Gutachten die Rede, welche die Tauglichkeit der IP-Adressen ermittelnden Software GladII 1.1.3 beglaubigte. Wenn diese Software denn existiert, ist sie allenfalls in der Lage, die IP-Adressen von Tauschbörsenbenutzern zu loggen. Wenn das Gericht genau geprüft hätte, wäre schnell klar geworden, dass es hier nicht um Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen geht. Bei dem enormen Ausmass der Abmahnungen hätte man eine genauere technische Analyse des Antrages durch das Gericht erwarten dürfen. Lag es an der Weihnachtszeit, an schlichtem fachlichen Unverständnis oder sogar an einer mutmasslichen Täuschung durch die Abmahnanwälte, dass das LG Köln hier die Anschlussinhaber der IP-Adressen ermitteln liess? Das LG Köln wird dazu gewiss noch Red und Antwort stehen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass deutsche Gerichte in Zukunft mehr Vorsicht walten lassen, bevor sie deutsche Internet-Nutzer Abmahnanwälten und Abmahnbetrügern zum Frass vorwerfen.
Update vom 20. Dezember 2013: Inzwischen zweifelt das Landesgericht Köln an der Ordnungsmässigkeit der Ermittlung der IP-Adressen, wie golem.de berichtet.
Update vom 23. Dezember 2013: LG Köln veröffentlicht ablehnenden Beschluss gegen urheberrechtlichen Auskunftsanspruch von «The Archive AG» [Link auf kanzlei.biz]
Update vom 7. Januar 2014: Das Landesgericht Köln stellt klar, dass der Abruf von Videostreams in Deutschland keine Urheberrechtsverletzung darstellt [Link auf hagendorff.org].
Update vom 14. Januar 2014: Das LG Köln prüft zurzeit, ob das Gutachten, welches die Tauglichkeit der IP-ermittelnden Software GladII 1.1.3 feststellte, der Presse übergeben werden soll [Link auf sueddeutsche.de]. Es ist zu erwarten, dass die Veröffentlichung dieses Gutachtens hohe Wellen wirft. Die Experten stehen bereits in den Startlöchern.

Update II vom 27. Januar: Gericht gibt Beschwerden statt

  Das Landesgericht Köln beginnt, Beschwerden gegen die Ermittlung der Anschlussinhaber stattzugeben [Link auf heise.de]. Rechtlich dürften somit Streaming-Abmahnungen in Deutschland bis auf weiteres vom Tisch sein. Einem neuen Betätigungsfeld und einer neuen Einnahmequelle für Abmahnanwälte wird vorzeitig der Riegel geschoben. Würde man mit den Worten des abmahnenden Rechtsanwalts Urmann sprechen, müsste man wohl sagen, dass das Experiment in Bausch und Bogen gescheitert ist. Rechtliche und finanzielle Konsequenzen für die Abmahner sind aber nach wie vor im Bereich des Möglichen.

Die vermeintlichen Porno-Urheberrechtsverletzer

Es ist sehr erstaunlich, dass nur deutsche Internet-Nutzer von der Abmahnwelle betroffen sind. Dies kann einerseits daran liegen, dass nur in Deutschland ein lukratives Abmahnwesen existiert, oder auch daran, dass bewusst nur deutsche IP-Adressen erfasst wurden. Und: es könnte auch sein, dass nur deutsche Internetnutzer auf die besagten Porno-Filme mittels einer weiterleitenden und IP-loggenden Webseite umgeleitet worden sind. Die Community ist bei letzerer Möglichkeit vor allem auf dem Techportal heise.de in der Browser-History von Betroffenen fündig geworden. Dieser Artikel erklärt dies detailiert. Allem Anschein nach wurden die ahnungslosen Internetnutzer über eine Werbe-Umleitung durch trafficholder.com auf eine IP-loggende und weiterleitende Webseite namens retdube.net weitergeleitet. Diese Domain ist derjenigen von redtube.com zum Verwechseln ähnlich. Die Scheindomain retdube.net existiert heute noch und leitet tatsächlich nur auf redtube.com weiter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass an dieser Stelle die IP-Adressen der Internetnutzer erfasst wurden. Die Weiterleitung führte natürlich prompt auf die Porno-Filme der «The Archive AG». Ohne ihr Zutun landeten deutsche Internetnutzer also auf den Porno-Filmen, welche sie scheinbar nicht hätten anschauen dürfen. Ist es ein Zufall, dass die Schein-Domain retdube.net just drei Tage, nachdem die «The Archive AG» die Rechte an den Filmen erworben hatte registriert wurde? Ist es ferner ein Zufall, dass die Registrierung dieser Domain anonym in Panama durch die whoisguard.com erfolgte? Es lässt sich somit nicht nachvollziehen, wer die Domain retdube.net registriert hat. Eine gerichtliche Ermittlung der Hintermänner in Panama dürfte nahezu aussichtslos sein. Wenn dieses Konstrukt zur Ermittlung von IP-Adressen bewusst geschaffen wurde, muss eine gewaltige kriminelle Energie dahinter vermutet werden. Sollten sich diese Spekulationen bewahrheiten, bedeutet dies für alle Abgemahnten, dass eigentlich alle Ansprüche gegen sie haltlos sind. Auf breiter Front wird allen Betroffenen geraten, nicht auf die Abmahnung der Anwaltskanzlei «Urmann + Collegen» einzugehen.
Update vom 29. Dezember 2013: Schätzungen von Zeit.de zufolge wurden ca. 30'000 - 50'000 Deutsche abgemahnt. Alle sind Kunden der Deutschen Telekom. Dies könnte der entscheidende Hinweis sein, wie die IP-Adressen tatsächlich ermittelt wurden. Wurden nur Telekom-Kunden über Trafficholder.com weitergeleitet, da sich der «IP-Range» der Telekom-Kunden sehr präzis eingrenzen lässt?

Update vom 25. Januar 2014: Umfrage für Betroffene

  Betroffene können jetzt an dieser Umfrage teilnehmen. Personenbezogene Daten wie IP-Adressen werden vertraulich behandelt.

Die Trittbrettfahrer

Am Rande seien auch noch die Trittbrettfahrer erwähnt, welche sofort nach dem Bekanntwerden der Abmahnwelle gefälschte Abmahnungen per E-Mail an beliebige Internetnutzer versenden. Diese erhoffen sich ihrerseits von dem ganzen Skandal zu profitieren. Abmahnungen per E-mail sind grundsätzlich zu ignorieren. In diesem Fall sind auch Menschen aus Deutschlands Nachbarländern betroffen [Link]. Es zeigt sich erneut, dass Ereignisse, welche die breite Öffentlichkeit erreichen, sofort kriminelle Trittbettfahrer auf den Plan rufen. Ihre Methode ist die Angst.

Wichtige Fragen

Die Betrachtung der Akteure dieses Skandals und ihrer Handlungen hat einige Fragen aufgeworfen, welche zur Klärung dieses Falles beitragen können.

  1. Wer hat die Porno-Filme auf redtube.com hochgeladen? Es könnte sein, dass Redtube ein Interesse hat, diesen Uploader ausfindig zu machen.
  2. War ein Mitarbeiter von Redtube an der Weitergabe der IP-Adressen beteiligt? Auch zu dieser Frage wird Redtube an einer Klärung interessiert sein.
  3. Was hat es mit «itGuards Inc.» und insbesondere mit ihrer ominösen Software GladII 1.1.3 auf sich. Existieren am Ende beide gar nicht?
  4. Welche Beziehungen gibt es zwischen der «itGuards Inc.» und «The Archive AG»?
  5. Wurde das Landesgericht Köln bewusst getäuscht durch die Abmahnanwälte «Urmann + Collegen»?
  6. Wer ist für die Weiterleitung und das vermutete IP-Logging auf retdube.net verantwortlich?
  7. Wie beurteilt der Schweizer Datenschützer (EDÖB) die Weitergabe von IP-Adressen aus der Schweiz nach Deutschland?
  8. Wer sind die Profiteure dieser vermeintlichen Urheberrechtsverletzung? «The Archive AG» und «Urmann + Collegen», evt. weitere?
  9. Wer hat auf trafficholder.com eine Umleitung auf retdube.net gekauft?
  10. Wer steckt hinter retdube.net und was hat es damit genau auf sich?
  11. Update vom 21. Dezember 2013: Warum explodierten die Zugriffszahlen jener Porno-Filme?
  12. Update vom 21. Dezember 2013: Warum das ganze Theater, wenn gemäss dem deutschen Medienrechtsprofessor Gerald Spindler gar keine Urheberrechte verletzt wurden?

Abschliessende Bemerkungen

Wenn auch nur einige dieser Fragen beantwortet werden können, wird sich das Puzzle sehr schnell zu einem aufklärenden Bild zusammenfügen. Feststeht, dass die Sache zum Himmel stinkt. Dieses Konstrukt wackelt auf jeden Fall enorm und wird im besten Fall noch vor dem Beginn des neuen Jahres in sich zusammenbrechen. Hoffentlich werden zügig weitere Erkenntnisse ans Tageslicht kommen. Zu begrüssen wäre, wenn hier ein Whistleblower weitere Fakten beisteuern würde. Auch wäre es ein schönes Weihnachtsgeschenk, wenn sich dieses internationale Firmengeflecht endgültig entwirren lassen würde. Ein grosses Dankeschön geht auch an die nimmermüde Community, welche laufend neue Fakten zu diesem Skandal zu Tage fördert. Immerhin sind sehr viele Menschen - sehr wahrscheinlich zu Unrecht - in eine sehr unangenehme und missliche Lage geraten.

[d.z.]

Weiterführende Links:

 




Ein offe­nes Geheimnis

Nach der überstürzten und vom Bundesverwaltungsgericht als illegal beurteilten Herausgabe von Bankkundendaten an die USA steht die Schweiz erneut unter gewaltigem Druck. Wieder geht dieser von einem Land aus, welches - wahrscheinlich zu Recht - hinterzogene Steuergelder in Milliardenhöhe auf Schweizer Bankkonten vermutet. Die deutsche Regierung scheint gewillt, einem Datendieb eine CD mit detailierten Angaben zu deutschen Steuersündern abzukaufen. Dass die deutsche Regierung nicht davor zurückschreckt, Geschäfte mit Kriminellen zu machen, veranschaulicht nicht nur den Zustand der Politkultur in unserem Nachbarland sondern auch die gähnend leeren Kassen des deutschen Staates. Deutschlands moralische, rechtliche und finanzielle Probleme sind jedoch bedeutungslos im Vergleich zur fundamentalen Systemkrise, welche die Schweiz erfasst hat.

Durch konzertierten Druck aus den Vereinigten Staaten und unseren direkten Nachbarländern ist in der Schweiz ein heilloses rechtstaatliches und politisches Durcheinander ausgebrochen, welches die Grundfeste der Schweizer Alpenfestung erschüttert. Jahrzehnte lang verschanzte sich die Schweiz hinter dem Mythos der Neutralität und des Bankgeheimnisses. Wie neutral aber ist es, Konten von Diktatoren und Verbrechern und Schwarzkonten von Steuernbetrügern zu verwalten? Das Bankgeheimnis, einst als Schutz des Kunden vor den Banken gedacht, wurde zu einem offenkundigen Anreiz, Geld im grossen Stil vor dem Zugriff des Fiskus auf Schweizer Banken zu verstecken. Auf Kosten unserer Nachbarn haben wir uns Jahrzehnte lang bereichert, während wir unsere Hände in Unschuld wuschen. Darauf haben wir unseren Wohlstand aufgebaut. Das ist die Lebenslüge der Schweiz.

Unwahrscheinlich ist, dass das Bankgeheimnis in der jetztigen Form aufrecht erhalten werden kann, nachdem die Grossbanken ihre Glaubwürdigkeit verloren haben und von staatlicher Seite wieder an die kurze Leine gelegt werden. Die Banken haben ihren Bonus verspielt, nachdem sie alle Relationen verloren und die Welt an den Rand des Ruins getrieben hatten. Bei solchen unrühmlichen Aktionen immer ganz vorne mit dabei sind natürlich unsere Schweizer Banken. Dass in den Vorständen die Moral schon lange der totalen Gewinnorientierung gewichen ist, haben schon einige Skandale vorweg genommen. Erinnern wir uns an die Äffäre "Meili", welche eigentlich eine Äffäre "UBS" war! Wachmann Meili rettete die Akten nachrichtenloser jüdischer Vermögen vor dem Schredder. Die Boulvardpresse brandmarkte ihn als Landesverräter. Ausgeklammert wurde dabei, dass sich die UBS mit der Vernichtung dieser Akten klammheimlich Milliarden unter den Nagel reissen wollte.

Der Ruf der Banken bröckelt wie das Bankgeheimnis, das eine quasi-mafiöse Entwicklung der Banken begünstigte. Banker wurden als Touristen in die USA geschickt, wo sie Anlegern, sprich Steuerbetrügern, behilflich waren, ihr Geld auf Schweizer Konten verschwinden zu lassen. Nur eine Garantie vor Strafverfolgung konnte diesen Anlegern gegeben werden: das Bankgeheimnis. Rechtshilfegesuche von ausländischen Steuerbehörden waren bislang daran abgeprallt. Sinnigerweise richtete sich die staatliche Aufmerksamkeit in Folge der von den Banken selbst verschuldeten Finanzkrise agressiv auf die entgangenen Steuereinahmen, welche unter anderem auf Schweizer Bankkonten vermutet wurden. Dem Begehren der USA folgte eine eilfertige Herausgabe von Finanzdaten. Obwohl diese mittlerweile vom Verwaltungsgericht gestoppt wurde, bedeutet dies bereits eine wesentliche Relativierung des Bankgeheimnisses.

Auch unsere direkten Nachbarn lecken Blut, verständlicherweise. An der Grenze zu Italien stehen keine Zöllner mehr sondern Mitglieder der Guardia Finanza, der italienschen Finanz- und Wirtschaftspolizei. Italien setzt ein deutliches Zeichen, dass der Abfluss von Steuergeldern nicht länger geduldet wird. Auch der französische Staat hat bereits sein Interesse an gestohlenen Finanzdaten aus der Schweiz bekundet. Deutschland wird dieses Tabu jetzt brechen. Nur die Österreicher regen sich nicht, da wir nicht nur die Alpen und das Skifahren sondern auch das Bankgeheimnis gemeinsam haben. Sie werden sich hüten, daran zu rütteln. Trotzdem muss das Bankgeheimnis in der heutigen Form einer grundlegenden Reform unterzogen werden. Das läutet nicht das Ende des Goldenen Zeitalters der Schweizer Banken ein, denn dem haben unsere Banker im Wahn der Masslosigkeit schon selber eine Ende gesetzt. Sinn und Zweck eines Bankgeheimnisses kann und darf nicht sein, Steuerhinterziehung und -betrug im Ausland zu fördern und anderen Ländern einen empfindlichen finanziellen Schaden zuzufügen. Der einzige politsch und rechtlich korrekte Weg, der aus diesem Schlamassel führt, ist eine gründliche Reform des Bankgeheimnisses.

Mächtige Finanz- und Wirtschaftkreise werden sich dagegen stemmen. Die SVP wird das Lied der Neutralität singen und den Wohlstand und die Existenz unseres Landes vom heutigen Bankgeheimnis abhängig machen. Doch der kleine Mann und die kleine Frau sollten sich vor Augen führen, dass das Bankgeheimnis nicht ihnen sondern den Reichen dieser Welt, welche mittels Steuerbetrug noch reicher werden, dient. Es ist zu erwarten, dass eine Reform des Bankgeheimnisses zu einer jahrelangen Erstarrung der schweizerischen Innen- und Aussenpolitik führt. Die eine Seite wird Internationale Solidarität fordern, während die andere zur Hellebarde der Geistigen Landesverteidung greift. Der aussenpolitische Druck wird weiter zunehmen bis zur Unerträglichkeit. Erst dann werden wir uns bewegen wie trotzige Bauerntölpel, weil wir nicht anders können. Oder, Toni Brunner?

[d.z]

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